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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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leuchtete mir ein; denn wer zählt schon Sand? Bis ich kürzlich die E-Mail eines fast verzweifelten Lesers aus Rheinland-Pfalz erhielt. »Lieber Herr Sick! Meine Frau sammelt Sand! Von jedem Strand, an dem wir Urlaub machen, bringt sie eine Handvoll mit nach Hause und füllt es in ein Marmeladenglas. Sie hat bereits mehr als 50 verschiedene Sandgläser in unserer Wohnung verteilt. Wir streiten uns immer wieder über die Mehrzahl von Sand. Meine Frau sagt gern, sie sammele ›Sände‹. Ich behaupte, von Sand gibt es keine Mehrzahl. Sie sagt, sie habe bei Ihnen gelesen, dass es selbst von Wasser eine Mehrzahl gebe, daher müsse es auch Sände geben. Jetzt frage ich Sie: Hat meine Frau womöglich Recht?«
    50 Reisen an 50 Urlaubsstrände haben offenbar noch nicht genügt, um den Mann zu der Einsicht gelangen zu lassen, die jeden Ehemann früher oder später ereilt: Die Frau hat immer Recht!
    In diesem Fall hat sie allerdings nur zum Teil Recht. »Sand« ist wider Erwarten zwar zählbar, aber die zulässige Mehrzahlform lautet »Sande«; die umgelautete Form »Sände« steht in keinem Wörterbuch.
    Ich antwortete dem Leser, die Frage sei es nicht wert, dass er sich ihretwegen mit seiner Frau streite. Bedeutender sei die Gefahr, dass die Ehe irgendwann unter all den Marmeladengläsern versande. Er solle seine Frau beizeiten überreden, den Inhalt der Gläser in den Garten zu schütten, vielleicht ließe sich daraus eine Art Hausstrand anlegen, auf dem sie sich von ihren zahlreichen Reisen erholen könnten.
    Ein paar Tage später schrieb er zurück: »Lieber Herr Sick, ich habe Ihren Rat befolgt und meiner Frau gesagt, sie solle den Sand in den Garten kippen. Da fragte sie: ›Welchen Sand meinst du? Den von Mallorca oder den von Sylt oder den von Kreta?‹ Da wusste ich mir keinen anderen Ausweg und rief: ›Alle Sände!‹ Sie hätten den Triumph im Blick meiner Frau sehen sollen! Damit hat sich meine Frage erledigt. Trotzdem meinen besten Dank!« Und als PS stand noch: »Wie Sie sich selbst schon denken werden, hat meine Frau natürlich nicht ein einziges Sandglas geleert. Stattdessen haben wir jetzt zwei Wochen Tunesien gebucht!«
    Inzwischen weiß ich, dass vieles von dem, was zu meinen Schulzeiten als unzählbar galt, von einigen doch gezählt wird. So produziert die Lebensmittelindustrie am laufenden Band nicht nur stille und sprudelnde »Wässer«, sondern auch flüssige und streichfeste »Honige«. Und die Kosmetikindustrie lässt keinen Zweifel daran, dass es »Körpermilch« nicht nur im Singular gibt. Sie ist sich nur nicht einig, ob es »Milche« oder »Milchen« heißt. Der Duden lässt zur Sicherheit beide Formen zu. Und seit sich die Computerindustrie für sogenannte Seltene Erden interessiert, ist nicht einmal der Erde ihre Einzigartigkeit geblieben.
    So schafft sich die Wirtschaft – je nach Bedarf – ihre eigenen Mehrzahlformen. Und der Bedarf ist offenbar groß, weshalb Manager auch gerne von »Bedarfen« sprechen und selbst den Zuwachs noch in die Mehrzahl setzen und zu »Zuwächsen« wachsen lassen. Über solche Auswüchse mag man denken, wie man will. Immerhin zeigt es, dass die deutsche Sprache alles andere als starr und anpassungsunfähig ist. Deutschland ist zwar nicht das gepriesene Land, in dem Milch und Honig fließen. Aber dafür ist Deutsch die Sprache, in der Milche und Honige fließen können!
Mehr zu sonderbaren Mehrzahlformen:

»Visas – die Mehrzahl gönn ich mir« (»Dativ«-Band 1)
»Das Paarungsverhalten der Uhue« (»Dativ«-Band 4)
»Stille Wässer sind tief« (»Dativ«-Band 4)
und auf den folgenden Seiten dieses Buches

Von Autokorsen, Torwärtern und fiesen Möppen
    In diesem Kapitel begegnen wir märchenhaften Fußballelfen und sagenumwobenen Eiländern. Außerdem treffen wir auf ganz alltägliche Dinge wie Wischmopp, Auspuff und Couch – allerdings in der Mehrzahl. Machen Sie sich auf ein ordentliches Chaos gefasst, am besten gleich auf mehrere Chaoti!
    Eine verblüffende Studie hat ergeben, dass Männer sich eher für Fußball interessieren als für Wörter. Nicht umsonst heißt es: Ein Mann, ein Wort. Ein Tor, ein Wart. Aber jedes Spielfeld hat zwei Tore, folglich auch zwei Torw… – nein, Torwärter sind es nicht, auch wenn die Versuchung naheliegt. Die Mehrzahl lautet Torwarte. Das Wort »Torwärter« gibt es gleichwohl, es bedeutet aber dasselbe wie Torwächter. Ein Torwächter ist wiederum nicht das Gleiche wie ein Torhüter, denn der ist bereits dasselbe wie der

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