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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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Deutsch:

»Die Übermacht der -ierungen« (»Dativ«-Band 1)
»Deutsch ins Grundgesätz!« (»Dativ«-Band 4)
»Authentifizieren Sie sich!« (in diesem Buch auf S. 188)

Was gewesen war
    Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern und auch nicht zurückholen. Aber sie ließ sich schon immer auf unterschiedliche Weise darstellen: im Perfekt oder im Präteritum – oder mit anderen Mitteln. Dabei waren auch immer schon Fehler gemacht worden. Erfahren Sie ein paar Dinge über das Plusquamperfekt, die Sie vielleicht noch nicht gewusst gehabt hatten.
    In einer jener Gerichtssendungen, wie sie eigentlich gerichtlich verboten werden sollten, wird eine gewisse Vanessa (Mitte 20, dreifache Nasenpiercingträgerin) nach ihrer Beziehung zu jenem Mann befragt, dem ein Autodiebstahl zur Last gelegt wird. »Hatten Sie mit dem Angeklagten ein Verhältnis?«, will der Staatsanwalt von ihr wissen. Vanessa gibt sich entrüstet: »Wie jetzt: Ich? Nee, also echt nicht, mit dem da hatte ich nichts gehabt.« Die Richterin blickt über den Rand ihrer Brille; zwar sagt sie nichts, aber ihr ist anzumerken, dass sie Vanessa vermutlich nicht für einen Recall vorschlagen würde. Der Staatsanwalt hakt nach: »Eine Zeugin behauptet, Sie kurz vor der Tat zusammen mit dem Angeklagten in einem Café gesehen zu haben. War es so?« – »Nee, das war ich nicht gewesen!«, beteuert Vanessa. »Echt nicht!«
    Das wäre jetzt die Chance für den Staatsanwalt, Vanessa in die Enge zu treiben, indem er klarstellte: »Ich habe nicht gefragt, ob Sie gehabt hatten oder gewesen waren, sondern ob Sie hatten oder waren!« Doch das tut er nicht. So etwas steht nicht in seinem Drehbuch.
    Gerichtssendungen, so wird behauptet, seien erschaffen worden, um die Funktionsweise unseres Rechtssystems einem breiten Publikum nahezubringen. Mehr noch scheinen sie dafür geschaffen, Besonderheiten des Sprachgebrauchs zu demonstrieren. In diesem Fall die Verwendung des Plusquamperfekts.
    Plusquamperfekt bedeutet wörtlich übersetzt »mehr als vollendet« und wird auf Deutsch auch »vollendete Vergangenheit« genannt. Es ist eine Art Aushilfszeit, die nur dann zum Einsatz kommt, wenn es gilt, zwei unterschiedliche Zeitabläufe in der Vergangenheit zu unterscheiden: das eine, das geschah, nachdem zuvor etwas anderes geschehen war. Dass das Römische Reich im Präteritum unterging, lag unter anderem daran, dass es zuvor im Plusquamperfekt von den Goten überrannt worden war.
    Daher wird das Plusquamperfekt auch Vorvergangenheit genannt. Mit diesen Begriffen kann man als Laie oder Anfänger vermutlich nicht viel anfangen. Als ich in der vierten Klasse zum ersten Mal das Wort »Plusquamperfekt« hörte, taufte ich es um in »Kaulquappenkonfekt«. Das war anschaulicher und ließ sich besser behalten.
    Und noch etwas ließ sich gut behalten, weil es wie eine Warnung vor Trickbetrügern klingt: »Das Plusquamperfekt tritt niemals allein auf.« Es braucht nämlich immer einen Komplizen. Gemeint ist damit eine zweite Vergangenheitsform, auf die es Bezug nehmen kann, so wie in diesen Beispielen:
Was er früher getan hatte, stand jetzt nicht zur Debatte.

Was im letzten Schuljahr noch die Ausnahme gewesen war, ist in diesem Jahr die Regel geworden.
    Im ersten Satz ist der Komplize des Plusquamperfekts das Präteritum, im zweiten das Perfekt, beide auch bekannt als »einfache Vergangenheit« und »vollendete Gegenwart«.
    Auf der Internetseite mein-deutschbuch.de erfährt man unter der Überschrift »Was man über das Plusquamperfekt wissen sollte«:
Das Plusquamperfekt, auch die Vorvergangenheit genannt, ist das Tempus der Vorzeitigkeit gegenüber dem Präteritum und dem Perfekt. Es gibt die Vergangenheit wieder, die vor dem Präteritum/Perfekt geschehen war und die für die Handlung im Präteritum/Perfekt wichtig ist.
    Dummerweise enthält ausgerechnet diese Erklärung ein falsches Plusquamperfekt. Richtig müsste es heißen: »Es gibt die Vergangenheit wieder, die vor dem Präteritum/Perfekt geschehen ist« , denn für ein »geschehen war« fehlt der Anlass, genauer: die Vergangenheit. Wo es keine Vergangenheitsform gibt, bedarf es auch keiner Vorvergangenheit. Auch in einer Erklärung über das Plusquamperfekt nicht.
    Bindewörter wie »bevor«, »nachdem« und »zuvor« helfen dabei, den Wechsel von einer Vergangenheitsebene zu einer anderen kenntlich zu machen. Sie wirken wie ein Signal für den Einsatz des Plusquamperfekts:
Bevor sie Filialleiterin wurde, hatte sie als Kassiererin

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