Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
gearbeitet.
Nachdem er sich gründlich in Köln umgesehen hatte, kaufte er sich eine Wohnung in Düsseldorf.
Das Verhältnis von Vergangenheit und Vorvergangenheit lässt sich mit folgender Formel darstellen: Nachdem das Plusquamperfekt seine Arbeit erledigt hatte, übernahm das Präteritum.
Wenn eine Sprecherin des ARD-Nachtmagazins nach einem Gespräch mit einem zugeschalteten Minister in Richtung Kamera behauptet: »Und das Interview hatten wir vor der Sendung aufgezeichnet«, dann ist ein Plusquam zu viel Perfekt im Spiel. Es sei denn, der Satz ginge noch weiter und nähme auf ein anderes Ereignis Bezug: »Das Interview hatten wir vor der Sendung aufgezeichnet, bevor bekannt wurde, dass der Minister am selben Abend zurücktreten würde.«
Für die Beschreibung der einfachen Vergangenheit stehen das Präteritum und das Perfekt zur Verfügung: »Früher war alles anders« oder »Früher hat es so was nicht gegeben«. Es wäre des Vergangenen zu viel, wenn man sagte: »Früher war alles besser gewesen« und »Früher hatte es so was nicht gegeben« – womöglich noch verstärkt durch ein zusätzliches »gehabt«: »Früher hatte es so was nicht gegeben gehabt.«
In der Umgangssprache wird das Plusquamperfekt oft überstrapaziert, dafür kommt es in der Zeitungssprache regelmäßig zu kurz. So wie das Präsens herhalten muss, wenn eigentlich eine Vergangenheitsform gefordert wäre (»Mann springt von Brücke«), so bedient sich der Journalismus gern des Präteritums, wenn eigentlich das Plusquamperfekt gefragt wäre.
Ein Leser fragte mich, ob die Überschrift »Tote Touristin gönnte sich USA-Reise zum Geburtstag« (Welt Online, 10. August 2010) nicht besser lauten sollte: »… hatte sich USA-Reise zum Geburtstag gegönnt«. In grammatischer Hinsicht lag er mit dieser Vermutung richtig. Aber selbst im Plusquamperfekt bliebe das Paradoxon, das immer dann entsteht, wenn Zeitungen über das Leben von Toten berichten.
Ein andermal wandte sich ein Krimiautor mit einer Frage an mich. Anlass war eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und seiner Lektorin. Es ging dabei um folgenden Satz: »Das letzte Mal, dass er diesen Ausdruck in seinem Gesicht sah, hatte ein Mensch dran glauben müssen.« Die Lektorin wollte den Satz umformulieren und das Plusquamperfekt durch Präteritum ersetzen: »Das letzte Mal, dass er diesen Ausdruck in seinem Gesicht sah, musste ein Mensch dran glauben.« Der Autor wollte nun von mir wissen, wer von beiden richtiglag. Die Antwort darauf lautete: keiner von beiden. Denn in diesen Satz gehört zwar das Plusquamperfekt, aber nicht nur einmal, sondern gleich zweimal: »Das letzte Mal, dass er diesen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen hatte, hatte ein Mensch dran glauben müssen.« Beide Handlungen (einen Gesichtsausdruck sehen und dass jemand dran glauben muss) sind Teil einer Erinnerung. Erzählt wird in der Vergangenheit, daher ist dies eine Rückblende in die Vorvergangenheit und somit ein Fall für Kommissar Plusquamperfekt, dem es sicherlich ein Vergnügen gewesen wäre, an dieser Stelle gleich doppelt in Erscheinung treten zu dürfen.
Wie auch immer man das Plusquamperfekt bewertet, am Ende gelangt man zu der Erkenntnis: Nicht alles, was gewesen war, hätte sein haben müssen. Ich belasse es daher bei diesem Gedicht:
Weiteres zum Gebrauch der Zeiten:
»Das Ultra-Perfekt« (»Dativ«-Band 1)
»Das Imperfekt der Höflichkeit« (»Dativ«-Band 2)
»Die unendliche Ausdehnung der Gegenwart« (in diesem Buch auf S. 67)
Sei oder wäre?
Frage eines Lesers aus Köln: Immer wieder lese oder höre ich Konstruktionen folgender Art: »Er dachte, es sei falsch« oder »Er glaubte, es sei genug«. Muss es in solchen Fällen nicht »wäre« heißen? Vor allem, wenn solche Annahmen sich als falsch erweisen, also irreal sind? Ist »sei« nicht ein Wort, das ausschließlich in der indirekten Rede verwendet wird, wie bei »Er sagte, er sei müde«? Ich finde zu diesem Punkt einfach keine klare Regel. Daher würde ich mich freuen, wenn Sie meine Frage einmal in einer Kolumne aufgriffen.
Antwort des Zwiebelfischs: Wie könnte ich eine mit so viel höflichem Konjunktiv gestaltete Bitte ausschlagen? Zunächst einmal ist es richtig, dass die Form »sei« in indirekter Rede verwendet wird. Und damit haben Sie Ihre Frage eigentlich schon selbst beantwortet, denn auch »Er dachte, es sei« und »Er glaubte, es sei« sind Formen der indirekten Rede. Ob etwas gesagt, gedacht oder geglaubt wird, ist
Weitere Kostenlose Bücher