Der demokratische Terrorist
liebsten beide der identifizierten Terroristen zu ergreifen oder unschädlich zu machen. Natürlich lag dem BKA an einer schnellen Entscheidung, da der Verfassungsschutz selbst keine Festnahme vornehmen durfte.
Denn der westdeutsche Verfassungsschutz hat als wohl einziger Sicherheitsdienst der Welt nicht das Recht, Bürger festzunehmen.
Sobald eine Festnahme oder eine Haussuchung angezeigt ist, weil Fahndungsergebnisse oder anderes Beweismaterial das erforderlich machen, muß er die normale uniformierte Polizei um Amtshilfe bitten.
Die Erklärung für diese deutsche Besonderheit ist einfacher, als man vielleicht glauben könnte. Vor weniger als einer Generation gab es hier einen Sicherheitsdienst, der noch heute eine der bekanntesten und verhaßtesten Abkürzungen der Welt verkörpert: Gestapo.
Bei der Gründung des Sicherheitsdienstes des neuen demokratischen Staates Bundesrepublik Deutschland wurde es daher zu einer selbstverständlichen Forderung, daß es den Sicherheitsorganen nie möglich sein dürfe, nachts in die Wohnung eines Bürgers einzudringen oder ihn auch nur abzuführen.
Nie mehr durfte es dazu kommen, daß Männer des Sicherheitsdienstes nachts irgendwo die Treppe hinaufstiefelten und vor einer Tür standen.
Kollegen aus aller Welt waren immer wieder über diese anscheinend blödsinnig unpraktische Regelung erstaunt. Es fiel ihnen jedoch, meist ein wenig verlegen, leicht, die einfache historische Erklärung zu akzeptieren. Nur äußerst selten erlaubte sich ein ausländischer Kollege einmal den ironischen Hinweis darauf, daß der Sicherheitsdienst des zweiten deutschen Staates, der DDR, sich durch solche historischen Bedenken keineswegs gehemmt fühle.
Loge Hecht liebte es, im Gespräch mit ausländischen Kollegen gerade auf dieses Thema zu kommen. Da er in der EG- Kommission zur Bekämpfung des Terrorismus die Bundesrepublik vertrat, hatte er recht oft Gelegenheit dazu. Das System hatte seiner Ansicht nach einige entscheidende Vorteile.
Wenn man nämlich einen Verdächtigen nicht festnehmen darf, ist man dazu auch nicht verpflichtet. Ein normaler Polizeibeamter hat, um es brutal auszudrücken, die Pflicht, gegen jede Gesetzesübertretung vorzugehen, die er beobachtet oder die zu seiner Kenntnis gelangt. Dies ist möglicherweise der Grundsatz, den die Polizei in aller Welt am häufigsten verletzen muß.
Wenn man aber von der Verpflichtung entbunden ist, dem sogenannten Legalitätsprinzip zu folgen, erweitert das auch die Möglichkeiten, verbrecherische Zusammenschlüsse zu beobachten oder gar zu unterwandern, ohne daß man sich dabei ständig um die Grenzen der dienstlichen Rechte und Pflichten sorgen muß.
Loge Hecht empfand trotzdem einen starken Widerwillen gegen den vagen Vorschlag des BKA, die schwedische Kontaktmöglichkeit für eine Under-Cover-Operation zu nutzen.
Auch für das Problem der Unterwanderung hatte Hecht wie für die meisten anderen Problemstellungen seines Dienstes eine fundierte Theorie parat, und in diesem Fall mußte seine Theorie das ihm nahegelegte Vorgehen in der Praxis verbieten.
Der Infiltrant mußte erstens ein Außenstehender sein. Ein Beamter des Verfassungsschutzes wäre zwar nicht verpflichtet, gegen irgendwelche verbrecherischen Aktivitäten einzuschreiten, aber als Beamter durfte er sich auch nicht an kriminellen Handlungen beteiligen. Es mußte irgendwo eine angemessene Grenze für das geben, was Hecht eher scherzhaft Verbrechen im Dienst nannte. Unter Terroristen lief man jedoch Gefahr, diese Grenze schon nach fünf Minuten zu überschreiten.
Möglicherweise würde es gelingen, Methoden zu finden, mit denen sich diese juristische Sackgasse auf halbwegs legalem Weg umgehen ließ. Aber danach würden sich gleichwohl praktische Hindernisse auftürmen, die fast unüberwindlich waren. So durfte der Infiltrant weder verheiratet sein noch Familie haben, und er mußte über eine echte »Legende« verfügen, durfte also keine erfundene Geschichte aus einer erfundenen Vergangenheit auftischen.
Und in diesem Fall sollte er überdies ein Schwede sein, dazu ein Schwede mit besonderer militärischer Kompetenz und eine Person, die von der Bundesrepublik irgendwie auf dem Dienstweg rekrutiert werden konnte - Freiwilligkeit war in diesem Zusammenhang ja kaum denkbar. Es konnte sich also nur um einen Schweden handeln, der beim Sicherheits oder Nachrichtendienst arbeitete.
Als Hecht am gestrigen Nachmittag mit Siegfried Maack die Situation erstmals besprochen hatte,
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