Der demokratische Terrorist
Vergangenheit besteht doch aber die Gefahr, daß er sympathisiert?«
»Nein, bei dieser Vergangenheit ist es so gut wie ausgeschlossen; wenn er einen derartigen marxistischleninistischen Hintergrund hat, ist er erheblich mehr gegen die Terroristen eingestellt als unsere grünen Umweltfreunde. Außerdem ist er Beamter.«
»Und wie wird er es bei uns?«
Loge Hecht stand auf und ging in dem länglichen Dienstzimmer auf und ab. Diese Frage ließ sich kaum leicht und schnell beantworten. Er blieb am Bücherregal neben der Tür stehen und zog nachdenklich eines seiner Lieblingsbücher heraus, die Memoiren des einzigen Spions, den er wirklich bewunderte, die Erinnerungen von Leopold Trepper, des Mannes, der während des Zweiten Weltkriegs Moskaus Spionageorganisation Rote Kapelle leitete. Hecht wog das Buch kurz in der Hand, dann stellte er es wieder ins Regal und kehrte zu seinem Schreibtisch mit dem brisanten Fernschreiben zurück.
»Laß uns zunächst eines klären«, begann er. »Wenn das stimmt, was hier steht, und im Augenblick gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln, haben wir hier einen Mann mit geradezu perfekten operativen Voraussetzungen. Das ist eine goldene Gelegenheit, unbestreitbar. Der nächste Schritt muß jetzt so aussehen: Klärung der Frage, ob ein Mann des schwedischen Sicherheitsdienstes nach den Gesetzen der Bundesrepublik als Beamter oder ganz allgemein als Ausländer, also als Privatperson, anzusehen ist. Du siehst ein, warum?«
»Ja, natürlich. Wenn er rechtlich als Beamter anzusehen ist, platzt das Ganze, nicht wahr?«
»Richtig. Das solltest du mit der Rechtsabteilung in Köln klären.
Wenn die grünes Licht geben, können wir den nächsten Schritt vorbereiten. Diese Rechtsfrage sollte aber als erstes geklärt werden.«
4
Sektionschef Henrik P. Näslund war beim Besuch der deutschen Kollegen vom ersten Augenblick an leicht unbehaglich zumute.
Jetzt saß er da und hörte mit einem halben Ohr zu, während einer von ihnen mit deutscher Umständlichkeit bestimmte neue »objektive Voraussetzungen« in der Strategie der Bundesrepublik gegen die sogenannte vierte Terroristengeneration darlegte. Der Vortrag wäre ihm auch in schwedischer Sprache unerträglich langsam vorgekommen, aber jetzt trat durch die Übersetzung des Dolmetschers noch eine weitere Verzögerung ein. Die Deutschen sprachen kein Englisch, die Schweden kein Deutsch.
Näslund unterdrückte ein Gähnen und zog sich nachdenklich einen Kamm durchs Haar, ohne zu bemerken, daß seine Gäste erstarrten. Es war ein Montagmorgen um halb neun, draußen war es dunkel, und seine Sekretärin hatte in einem eigenhändig gebastelten Kerzenhalter mit kleinen Trollen und grauem Moos eine Stearinkerze angezündet. Sie hatte Kaffee mit vermutlich selbstgebackenen Safran-Krapfen serviert, da gerade erster Advent gewesen war. Näslund haßte dieses Vorverlegen der Vorweihnachtszeit von Jahr zu Jahr - Safran-Krapfen etwa sollte man nicht vor dem Lucia-Fest am 10. Dezember essen-, kam aber zu dem Schluß, daß ihm jetzt gerade die frühe Tageszeit am unappetitlichsten erschien.
Hinzu kam das Unbehagen, daß er sich nicht hatte darüber klar werden können, wo und wie die an und für sich wichtigen deutschen Kollegen placiert werden sollten. Wäre er selbst an seinem Schreibtisch sitzen geblieben, wären seine Besucher zu Untergebenen geworden, die mit übereinandergeschlagenen Beinen vor ihm gesessen hätten. Das wäre kein guter Einfall gewesen. Aber jetzt saßen sie alle fünf (er selbst, der Leiter der Terroristen-Abteilung des schwedischen Sicherheitsdienstes, der stellvertretende Polizeipräsident Christian Kallen, ein vereidigter Dolmetscher sowie die beiden hochrangigen deutschen Kollegen) an einem zu kleinen und zu niedrigen schwedischen Amtszimmertisch, der außer für einen Chef für höchstens zwei Besucher gedacht war, und folglich saßen alle beengt. In einem Konferenzzimmer des Sicherheitsdienstes hätten sie wiederum zu weit auseinander gesessen, was auch nicht gut gewesen wäre. Es war ein lächerliches, ihn aber gleichwohl irritierendes Problem.
Außerdem spürte Näslund, daß es ihm zunehmend schwerer fiel, seine Ungeduld zu zügeln. Die Deutschen hatten mit höchster Priorität um ein möglichst rasches Zusammentreffen und zudem um Amtshilfe gebeten. Jedenfalls hatte man ihr kurzgefaßtes Fernschreiben so ausgelegt.
Und statt gleich zur Sache zu kommen, begannen sie mit sogenannten Hintergrundinformationen, die in ein paar
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