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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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wollte, daß die zähe
heidnische Sünde wirklich der einzige Grund sei, damit die anderen im Dunkeln
bleiben mochten.
    Es war nicht nötig, daß ich in
dieser Nacht Hexen jagte, die Gassen auf und ab, es ging mir im Grunde nicht um
fremde Sünde, aber ich wollte die Gedanken abwenden von meinem Bruder und von
der Versuchung, der ich anheimgegeben war; freilich wurde nichts weiter daraus,
als daß ich unruhig und mit vergiftetem Gemüt zurückkehrte.
    In anderen Nächten stand ich wohl
oft lange im Mondschein über dem Fluß, ließ das sanfte Wogen der Erinnerungen
oder der verworrenen Wünsche langsam Besitz von mir ergreifen; ich wußte, wann
ich das tun durfte: immer dann, wenn heiterer Frieden in mir herrschte, wenn
keine Stürme drohten. Ahnte ich aber auch nur die ersten Anzeichen inneren
Aufruhrs, so duckte ich mich zwischen die vier Wände meines Zimmers und zwang
mich auf den vertrauten, festen Pfad des Gebets. Die Wände des Zimmers haben
etwas vertraut Beschützendes, so wie alte Familiendinge, die zum ganz
gefahrlosen Teil unser selbst geworden sind, sie sind ein Trost, den man
anerkennt und annimmt, sie lassen einen gefährlichen Gedanken verstummen, der
sich zuweilen gegen unseren Willen in uns regt, wir glauben ihnen ohne
Bedenken, stellen unsere Schwäche unter den Schutz ihrer uralten Kraft, wir
mindern unsere menschlichen Sorgen und Ängste durch die Gewohnheit, sie an
ewigen Maßstäben zu messen, und da wir solcherart Sorgen und Ängste beim
Vergleich benachteiligen, führen wir sie auf ein unbedeutendes Ausmaß zurück.
    Diese Nacht konnte ich nicht im
Garten bleiben, ich mußte mich herauslösen, mußte für mich sein, vergessen,
hier aber forderte mich alles heraus. Das Mondlicht war eiskalt und schien nach
Schwefel zu riechen, die Blumen dufteten allzu stark, aufreizend, herausreißen
müßte man sie, zertreten, damit nur Disteln und Ode blieben, damit ein
Friedhof bleibe, ohne Male, an nichts erinnernd, damit der nackte menschliche
Gedanke bleibe, ohne Bild, ohne Duft, ohne Zusammenhang mit den Dingen um uns
herum, und den Fluß müßte man anhalten, damit er nicht spöttisch sprudle, und
die Vögel in den Kronen und unter den Vordächern allesamt erdrosseln, damit sie
nicht sinnlos zwitscherten und gurrten, und alle Wassermühlen niederreißen, an
denen sich nackte Mädchen baden, man müßte die Straßen vermauern, die Tore
zuschmieden, mit Gewalt das Leben stillen, damit nicht das Böse anschwelle.
    Erleuchte mich, Gott.
    Niemals hatte ich mit so sinnloser
Wut an die Menschen und an das Leben gedacht. Ich erschrak. Woher kam dieser
Wunsch, daß nichts mehr sein möge?
    Ich wollte in mein Zimmer gehen, ich
mußte hinein, aber ich konnte nicht. Mit seltsamer Kraft hielt mich die Nacht,
die ich haßte, fest – sie war stärker als ich. Und als ich mich schon ergeben
hatte, spürte ich, daß sie mich zur Ruhe brachte. Sie nahm Besitz von mir mit
der sanften Gewalt leiser Laute, die verträumt sich selbst genügten, mit
flimmrigem Dunkel, das zuckte in kaum wahrnehmbarem Auf und Ab, in
wunderlichen Schatten und Bildern, in Düften, die tief ins Blut drangen und
Teil meiner selbst wurden, es roch nach Leben, das sich mit zarten Stimmchen
und kleinen Bewegungen zu etwas Starkem verflechten würde – das wäre stärker
als alles, was ich wollte, unzertrennbar von mir, dasselbe wie mein Ich, das,
wonach ich suchte und was ich noch nicht gefunden hatte, ich vergaß, daß eben
noch das Mondlicht eiskalt gewesen war und nach Schwefel gerochen hatte, das
war nur die Furcht vor ihm gewesen, jetzt war sie verschwunden, und sanftes
Licht lag über mir und der Welt, die Spur von etwas in mir, die Spur von etwas,
was sein konnte und war, von etwas, was sein würde, wenn ich in dieser Leere
ausharrte, ohne Schutz und Schirm, da die Sperre der Gewohnheit und des
Bewußtseins und des Wollens beseitigt war. Oder aus den schwarzen Kellern
meines Blutes würden unbekannte Wünsche hervorschießen, und es wäre zu spät,
wenn sie an den Tag träten, nie mehr würde ich denken können, sie seien tot
oder gezähmt, nie mehr würde ich das sein, was ich gewesen war. Dabei schien
es mir, als hätte ich nicht die Kraft, sie aufzuhalten, sie zurückzudrängen
ins Dunkel ihrer Zwangswohnung, ich wünschte es nicht einmal mehr. Ich wußte
nicht recht, was für Wünsche es waren, ich wußte nur, daß sie große Kraft
offenbarten. Unschuldig waren sie gewiß nicht, sonst hätten sie sich nicht
verborgen.
    In diesem

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