Der deutsche Goldrausch
seinem Element. Er redet fast fiebrig von oben auf Modrow ein: »Herr Ministerpräsident, es sind Zeiten des Umbruchs, und in Zeiten des Umbruchs sind Informationen und Diskussionen, Erfahrungsaustausch von großer Bedeutung. Wir erwarten einfach, dass der Informationsaustausch diesmal für uns besonders interessante Aufschlüsse geben wird. Wir stellen uns vor, dass wir jetzt in relativ kurzer Zeit – die ersten Dinge laufen jetzt schon auf der Leipziger Messe – zu Abschlüssen kommen werden. Da ist natürlich für uns besonders interessant: die engen Beziehungen der Firmen der DDR zu den Firmen im RGW-Raum.«
Modrow blickt müde auf und dreht sich leicht zur Kamera. Dann sagt er in Richtung Bonn: »Ich glaube, in der Politik wird im Moment viel Wahlkampf betrieben. Herr Seiters erklärt, dass Herr Modrow etwas bremst, Herr Modrow hat überhaupt nichts zu bremsen, im Gegenteil. Man möge sich mal anschauen, was in den zurückliegenden Wochen an Gesetzgebungen geschehen ist, um marktwirtschaftliche Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen.«
Der geschlagene Politiker Modrow scheint die Aufregung um ihn herum gar nicht mehr zu verstehen. Sozialisten haben schon seit Wochen in Leipzig nichts mehr zu sagen. Die deutsche Industrie hält sich ungeduldig an Modrow, weil erst in wenigen Tagen ein Nachfolger von der freien Volkskammer gewählt werden wird. Einerseits ist die Zeit des Übergangs ideal für Geschäfte auf dem kleinen Dienstweg, andererseits mögen Investoren rechtlose Zeiten nicht, und sie können erst recht nicht leiden, wenn sie nicht wissen, wer nach der Wahl die politischen Entscheidungen treffen wird.
Man will nicht auf das falsche Pferd setzen.
Auch die Deutsche Bank ist noch vorsichtig. Sie hat ebenfalls einen Stand auf der Messe, bietet Crashkurse für Existenzgründer in der DDR an: Doch der große Deal mit der bald ausgeschlachteten Staatsbank und Edgar Most läuft weiter still im Hintergrund. Most ist mit Hilmar Kopper, dem Vorstandsvorsitzenden, und anderen Managern der Deutschen Bank in einem Privatjet nach Leipzig gekommen. Auch dieser Flug bleibt geheim. Zur Messe fährt man in getrennten Limousinen zu verschiedenen Veranstaltungen. 21 Der Vertrag über die teilweise Übernahme der Belegschaft, des Wissens und der Filialen der wichtigsten DDR-Bank ist bereits aufgesetzt. Am Tag nach der Wahl soll er in Kraft treten.
Der junge Detlef Scheunert ist ebenfalls auf der Messe. Einige seiner Kollegen haben sich bereits aus Berlin abgesetzt. Sie befürchten, für eine weitere Karriere in einer freien DDR oder gar in einem vereinten Deutschland »zu kontaminiert« zu sein.
Scheunert dagegen ist guter Dinge. Er ist jung, kennt das System und hat lange für die DDR, »dieses kleine Scheißland«, gekämpft, das seine Heimat ist. Das kann kein Vergehen sein, denkt er. Als Referent des Ministers bleibt er im Hintergrund, trägt Taschen, wird Augen- und Ohrenzeuge, ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen. Seine Karriere in der sozialistischen DDR hätte er nur verhindern können, wenn er großen Unsinn gemacht hätte, aber die Wende ist rechtzeitig gekommen. »Perfektes Timing«, denkt er.
Scheunert lebt mit seiner Frau, seinem Sohn und der Tochter in einer Ost-Berliner Wohnung, für die er keine hundert Ostmark bezahlen muss. Die wird er auch in Zukunft irgendwie aufbringen können. Auch er hört die Versprechungen der konservativen, marktwirtschaftlich orientierten Parteien im Wahlkampf überall.
Bei Einheit Wohlstand, heißt deren Parole verkürzt.
14. März 1990, Leipzig
Am Abend des vierten Messetags ist der Bundeskanzler in der Stadt. Es ist sein sechster und letzter Auftritt in diesem Wahlkampf. Die internationale Presse wittert schon einen massiven Stimmungsumschwung zugunsten der konservativen Parteien, was sie vor allem auf die bisherigen Auftritte Kohls zurückführt. 22 Die Umfragen der Demoskopen aus Westdeutschland deuten dagegen noch immer auf eine Wahlniederlage der Konservativen hin.
Kohl spricht auf dem Karl-Marx-Platz 23 zwischen der Oper und dem Gewandhaus, dort, wo erst zwei Tage zuvor die letzte Montagsdemo stattgefunden hat. Von diesem Platz waren im Herbst die Leipziger Montagsdemonstrationen ausgegangen, die schließlich das ganze System erschütterten.
Von Revolution ist am Montag nicht mehr viel zu spüren. Eine Ballooning GmbH aus Baden-Baden versucht, einen riesigen blauen Europa-Ballon neben dem Gewandhaus aufzublasen, der nicht straff werden will.
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