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Der deutsche Goldrausch

Der deutsche Goldrausch

Titel: Der deutsche Goldrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Dirk
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Heinrich Lummer aus West-Berlin spricht über die Einheit Deutschlands, Republikaner verteilen Flugblätter, Skinheads verbrennen Werbebroschüren der SPD und des Neuen Forums, die Mitteldeutschen Nationaldemokraten skandieren »Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!«, andere
Demonstranten kommen über den Stadtring und rufen: »Haut den Roten auf die Pfoten, Helmut Kohl, das tut wohl!« 24
    Bürgerrechtler, die für eine behutsame Annäherung an Westdeutschland oder die Eigenständigkeit der DDR als demokratischer Staat plädierten, werden ausgepfiffen oder ignoriert. Westdeutsche Besucher am Rande der Demonstrationen versuchen zu ergründen, was aus der DDR wird und wie man hier in Zukunft Geschäfte machen kann.
    20 000 Schaulustige sind am Montag gekommen, heute, am Mittwoch, wollen fast 250 000 Menschen Helmut Kohl hören. Da es keine Zoll- oder Gewerbekontrollen mehr zu geben scheint, sind westdeutsche Bier- und Bratwurststände überall in der Stadt. Die Straßen Leipzigs sind am Abend zugemüllt. Ein Becher westdeutsches Bier kostet fünf Mark Ost.
    Eine Kapelle auf den Treppen der Oper spielt »Ein Jäger aus Kurpfalz«, als der Bundeskanzler Kohl sich mit seinen Leibwächtern vom Süden her über den Platz durch die Menge der Oper nähert. Er schüttelt Hände, man will ihn berühren. Die Menge skandiert »Helmut! Helmut! Helmut!« Plakate werden in die Höhe gereckt: »Helmut Kohl, unsere Alternative zu 57 Jahren Barbarei«; »Helmut Kohl, Du bist die Hoffnung für Millionen. Wir wollen in einem Deutschland wohnen. Wir haben lange genug geschmachtet. Am Sonntag werden die Roten entmachtet.« 25
    Kohl wirkt angespannt, als er zum Balkon der Oper emporsteigt. Die letzten Tage drohten den Erfolg seiner Aufholjagd zu gefährden. Er hat die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Linie, der Grenze zu Polen, bei einem Auftritt mit dem US-Präsidenten George H.W. Bush in Frage gestellt: Ein gesamtdeutscher Souverän müsse über das Schicksal der Grenze entscheiden. In Ost und West ist man gleichermaßen entsetzt. Kohl ist mit dieser revanchistischen Position in die Defensive geraten. Noch schlimmer: Der Spitzenkandidat des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, ist am Tag zuvor als Spitzel der Stasi entlarvt worden. Mit 18 Jahren hatte er begonnen, als bezahlter IM zu arbeiten. Er galt als Spitzenquelle. 26 Schnur musste schon den Runden Tisch wegen Korruptionsvorwürfen verlassen, wurde aber dennoch weiterhin als möglicher DDR-Ministerpräsident gehandelt. Kohl spielt diesen GAU vor seinem Auftritt in Leipzig auf einer Pressekonferenz herunter.
    Die Menschen vor der Oper scheinen nicht sonderlich daran interessiert, wer der neue Spitzenkandidat der Allianz für Deutschland wird. Sie sind hier, um Kohl zu feiern. Detlef Scheunert ist nach Messeschluss in die Innenstadt gefahren, um Kohls Rede zu verfolgen. Sein Minister hatte gesagt: »Jetzt kannste mal sehen, wie die im Westen das Ding umdrehen.«

    Doch Kohls Rede stockt. Der Strom fällt immer wieder aus. Der Kanzler macht Witze: »Jetzt sind wir wieder beisammen, und der letzte Stasi-Bohrer hat doch keine Wirkung gehabt.« Seine Rede scheint mehr an das Ausland gerichtet zu sein, er versucht die Scherben zu kitten, die seine Oder-Neiße-Bemerkung hinterlassen hat. Im Hintergrund steht vor dem Gewandhaus eine Gruppe von Gegendemonstranten, die Kohl während der gesamten Rede auspfeift.
    Ganz zum Schluss sagt Kohl etwas Verblüffendes: »Ich kann Ihnen kein Versprechen abgeben, wie es manche tun zu dem Thema Währungsumstellung, weil wir mitten in den Verhandlungen sind und weil ich es nicht mag, dass Versprechungen abgegeben werden vor der Wahl, die nach der Wahl nicht eingehalten werden.«
    In Cottbus versprach er wenige Tage zuvor, die Sparguthaben würden bei der Währungsunion selbstverständlich im Verhältnis 1 zu 1 umgestellt werden. 27 Und nun das. Doch die Menschen scheinen dieses Hin und Her gar nicht zu registrieren, ihrer ausgelassenen Stimmung tut die Kehrtwende keinen Abbruch. Schließlich sagt Kohl: »Herr Modrow wollte über 15 Milliarden, und mir wurde vorgeworfen, ich würde die Menschen aufgeben hier in der DDR, das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich war nicht bereit, gutes Geld in ein schlechtes System zu investieren.«
    Frenetischer Jubel brandet auf, »Helmut«-Sprechchöre erheben sich. Lauter werden die Menschen an diesem Abend nicht mehr sein. Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hat soeben verkündet, dass er die DDR die

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