Der deutsche Goldrausch
Kooperationen mit DDR-Firmen eingegangen. Abgerechnet wird bereits in D-Mark. Der Export Westdeutschlands in die DDR ist in den ersten Monaten 1990 leicht gestiegen, aber der »Big Bang« wird erst nach der Währungsunion erwartet. Die Exporte in die DDR bringen es bis dahin nur auf etwas mehr als drei Prozent am Gesamtvolumen des Westhandels.
Selbst wenn die ostdeutschen Bürger noch Jahre brauchen, bis sie das westdeutsche Niveau erreichen, ist im März 1990 bereits klar, dass der DDR-Binnenmarkt 100 Milliarden Westmark schwer werden wird. Schon jetzt konsumieren die Ostdeutschen Waren im Wert von über 120 Milliarden Ostmark. 33 Da will jeder Konzern mitspielen.
Am Mittwoch, noch während der Leipziger Messe und rechtzeitig vor der Wahl, kündigt die Allianz-Versicherung in Ost-Berlin an, im Mai 49 Prozent des DDR-Versicherungsmonopolisten zu übernehmen. Die »Staatliche Versicherung« hat 1989 sieben Milliarden Mark Ost an Prämien eingenommen und einen Gewinn von 1,7 Milliarden Mark Ost gemacht. 34 Der Kaufpreis wird später verhandelt. Der stellvertretende Generaldirektor Günter Ullrich und der Allianz-Mann Uwe Haasen geben gemeinsam eine Pressekonferenz. Das entsetzt die Konkurrenz und erstaunt die Öffentlichkeit. In der ostdeutschen »Berliner Zeitung« wird spekuliert, dass die Vorverträge ungesetzlich erkauft worden seien. Den Vorwurf muss die Zeitung zurücknehmen, nachdem sich der Generaldirektor Hein beim DDR-Presseamt über »diese Art der Berichterstattung« 35 beschwert hat.
Die westdeutschen Versicherungskonzerne, die nicht zum Zug gekommen sind, protestieren bei der Bundesregierung. Einige FDP-Mitglieder
sind gegen den Allianz-Deal. Doch der Münchner Versicherungskonzern weiß den Bundesfinanzminister Theo Waigel auf seiner Seite. Er wird die Vorstandssitzung der Allianz am 20. März besuchen. Trotz kartellrechtlicher Bedenken sei er zu der Überzeugung gelangt, dass die »Staatliche« im Wettbewerb mit der westdeutschen Versicherungswirtschaft nur überleben könne, wenn sie einen starken Partner wie die Allianz an ihrer Seite habe. 36
15. März 1990, Ost-Berlin
Matthias Artzt, Gerd Gebhardt, Werner Schulz und Wolfgang Ullmann kämpfen in den letzten Tagen vor der Wahl verbissen für ihre Idee. Noch fordern die Bürgerrechtler Anteilsscheine am Runden Tisch ein. Artzt und Gebhardt diskutieren mit dem Staatssekretär Wolfram Krause über das Treuhandstatut. In dem – jedoch nicht im Treuhandgesetz – wird festgehalten: Es wird Vermögensurkunden geben.
Diesen Punkt erläutern Krause und Ullmann gemeinsam auf einer Pressekonferenz. Man schätze das Vermögen der DDR auf 650 Milliarden Ostmark. An 25 bis 30 Prozent der Industrie wolle man die Bürger in Form von Aktien beteiligen. Ein Anteil hätte dann den Wert von 40 000 Ostmark, erklärt Ullmann der Presse.
In einem Volksentscheid soll die DDR-Bevölkerung über die Verwendung des Volksvermögens entscheiden. Die anwesenden Westjournalisten stellen skeptische Fragen zu den Anteilsscheinen: Wie könne man denen einen Wert beimessen? Ullmann hat keine Antwort parat. Das werde sich ergeben, sagt er. Wolfram Krause gibt sich dagegen selbstbewusst: Selbstverständlich würden dieser Prozess und die Treuhand vom Parlament kontrolliert. 37
Drei Tage später dürfen die DDR-Bürger zum ersten Mal frei wählen. Sie entscheiden indirekt auch über das Schicksal der Ideen von Ullmann und Krause.
Die freie Volkskammerwahl und die drohende deutsche Einheit bereiten dem Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit, Herbert Köhler, große Sorgen. Er sieht für sich kaum eine Chance in einer DDR, in der das Neue Forum gemeinsam mit der SPD das Sagen hat.
Köhler hat dreizehn Jahre lang, bis 1987, die Gegenspionage der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS geleitet. Während seiner Dienstzeit
hat er regelmäßig Kontakt mit dem dortigen leitenden KGB-Mann, Wladimir Putin. Nun will er weg aus Dresden. Anfang Dezember ist seine Dienststelle von Bürgerrechtlern gestürmt worden. 38 Ein Militärstaatsanwalt und westdeutsche Radioreporter waren dabei. »Stasi-Nazi«, »Volksverräter«, »Stoppt die Aktenvernichtung«, brüllten die Menschen. Sein damaliger Chef, Generalmajor Horst Böhm, wird am selben Abend unter Hausarrest gestellt und muss seine Pistole abgeben. Ende Februar vergiftet sich Böhm in seiner Wohnung mit Gas. 39 Köhler beerbt seinen Chef und wird für kurze Zeit Chef der Dresdner MfS-Hauptverwaltung. Zu retten ist
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