Der deutsche Goldrausch
in dieser Zeit oft über seinen Vater nach. Der hat es bis zum Bundesrichter gebracht und würde sich sehr wundern, was »sein Junge« da in Halle macht.
Der Niederlassungsleiter Dr. Dickerhof ist immer noch selten im Büro. Die Zentrale in Berlin lässt den Mitarbeitern in den Filialen weitgehend freie Hand. Klamroth ist inzwischen aus dem Interhotel ausgezogen. Er hat sich eine Wohnung in einer anderen Plattenbausiedlung am Rande von Halle genommen. Aus den Fenstern der Zweizimmerwohnung in der Hanoier Straße blickt er auf die triste Siedlung Silberhöhe, die in diesem Frühjahr ihrem Namen selten Ehre macht. Klamroth hat sich diese Gegend nicht nur ausgesucht, weil in den oberen Stockwerken der Empfang für sein tragbares Telefon besser ist, sondern auch, weil er unter den Menschen sein will. Seinen alten Dienstwagen, einen Audi Quattro Sport, den er aus Heidelberg
mitgenommen hat, parkt er ohne Bedenken vor der »Platte«. Die Nachbarn passen auf und alarmieren ihn, wenn ein Betrunkener dem Auto zu nahe kommt.
Inzwischen hat sein Direktorenkollege, der Privatisierungschef Tim Olaf Alexander, einen neuen Kollegen, den 40-jährigen Werner Sauer, eingestellt. Sauer kommt ebenfalls aus der Gegend von Stuttgart, hat schon viele Jobs in seinem Leben gehabt und einiges ausprobiert, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Das Einzige, was der Polizistensohn zu einem offiziellen Abschluss bringt, ist seine Lehre als Maschinenbauschlosser. Die Wirtschaftsoberschule bricht er ab. Da er nicht zur Bundeswehr will, meldet er sich bei der Bereitschaftspolizei. Zu spät begreift er, dass er sich mehrere Jahre bei der Polizei verpflichten muss, um den Wehrdienst wirklich zu vermeiden. Zunächst läuft Sauer viele Monate lang in Böblingen Streife – später wird er Personenschützer bei der Kriminalpolizei. Auch das geht nicht gut. Sauer belästigt eine Frau, die er eigentlich schützen soll. Er wird gefeuert und gründet mit einem Schulfreund mehrere Firmen, von denen eine bald Konkurs anmelden muss. Er bringt Autos, Motorräder, Sportartikel, Metallreinigungsmaschinen an den Mann. Ab 1986 verkauft er für eine Schweizer Firma Videoanlagen. Scheinbar mit großem Erfolg. Er wird zum Geschäftsführer befördert. Zu spät merkt der Schweizer Inhaber der Unternehmensgruppe, dass Sauer die Zahlen fingiert, sich ohne Grundlage hohe Provisionen auszahlt und teure Autos auf Firmenkosten least. Im Sommer 1990 steht der Schweizer kurz vor dem Ruin, er entlässt Sauer, zeigt ihn aber nicht an. Sauer, ex-Polizist, ex-Geschäftsführer, macht sich wieder auf die Suche, behauptet, Banken beraten zu haben, angeblich habe er die Kreditwürdigkeit von Kunden beurteilt und außerdem, so erzählt er, sei er bei diversen Spezialeinheiten tätig gewesen. Seine Karriere stockt trotzdem. Da erzählt ihm der Rechtsanwalt Kurt Dachsner von Tim Olaf Alexander und der Treuhand in Halle. Er bewirbt sich dort direkt, sein Schreiben ist zwei Seiten lang. Zeugnisse legt er nicht bei. Sauer hat Erfolg. Er wird rückwirkend zum 1. April als Abteilungsleiter im Bereich Maschinenbau eingestellt.
Ein Detail aus seinem Leben hat Sauer der Treuhand verschwiegen: Das Amtsgericht Böblingen hat ihn 1986 wegen Konkursverschleppung, fortgesetzten Betrugs durch schlampige Buchführung und fortgesetzten Bankrotts zu einer Geldstrafe verurteilt. Das fällt weder in der Niederlassung Halle noch in der Zentrale in Berlin jemandem auf. Niemand überprüft den eingereichten Lebenslauf. So können Sauer, Alexander und Dachsner ungestört an die Arbeit gehen und ihren Plan umsetzen.
1992–1994
DIE LANGE ABWICKLUNG
Wie das Geld bekämpfen und es dabei noch bezwingen? Wie sich seinem Einfluß und seiner Tyrannei entziehen, ohne ihm dabei aus dem Weg zu gehen?
Die einzige Methode war – es zu erwerben, es in so großen Mengen zu erwerben, daß sein Einfluß nicht spürbar werden konnte; und je größer die erworbene Menge wäre, desto freier wäre ich von seinem Einfluß.
FERNANDO PESSOA
Ein anarchistischer Bankier
Money ain’t got no owners, only spenders.
OMAR LITTLE
in The Wire
Nachwort
Die Treuhandpräsidentin Birgit Breuel hat bei der Abschlusspressekonferenz der Treuhand 1994 die Hoffnung geäußert, die Menschen würden mit einigem Abstand die Arbeit der Treuhand objektiver beurteilen. Siebzehn Jahre später ist klar: Das Gegenteil ist eingetreten. Je länger die Zeit der Treuhand zurückliegt, desto unversöhnlicher stehen sich zwei Lager
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