Der deutsche Goldrausch
undankbarsten Posten in der Bundesrepublik übernehmen müssen, weil sich kein anderer fand, der den Mut aufbrachte, dieses Amt anzutreten.
Bevor das offizielle Interview beginnt, fragt Breuel den Journalisten: »Haben Sie da unten nur die Karten ausfüllen müssen?«
Richter: »Ja.«
Breuel: »… Ausweis zeigen müssen?«
Richter: »Ja. Presseausweis, Personalausweis.«
Breuel: »Na immerhin schon besser als nichts …«
Richter: »Wieso, wollten Sie es noch verbessern oder was …?«
Breuel: »Sicher, die Leute werden ja schon unruhig hier im Haus.«
Breuel guckt auf ihre Fingernägel, und das Interview beginnt.
Richter: »Frau Breuel, wie geht es nun weiter mit der Treuhand?«
Breuel antwortet abwesend: »Die Treuhand ist voller Kummer und Schmerz, wie jeder verstehen wird, aber wir sind uns alle einig: Die Arbeit geht so weiter wie bisher.«
Die Hanseatin, die immer lange Röcke trägt und oft an einem Mundstück zieht, in dem ein qualmender Zigarillo steckt, polarisiert die Treuhänder. Viele nehmen ihr übel, dass sie unmittelbar, nachdem sie Treuhandpräsidentin geworden ist, ein Treffen der wichtigsten Treuhandmitarbeiter einberuft und ihnen erklärt, dass es nun darum gehe, sich selber und damit die Treuhand schnellstmöglich abzuschaffen. Die große Frau überragt einige männliche Vorstandskollegen, kann durchaus gewinnend oder verschmitzt lächeln, tut das aber nur selten. Über die Jahre ist der rötliche Schimmer in ihrem Haar verblasst. Manchmal läuft sie im Büro ohne Schuhe über den Teppich und gibt sich formlos. Einige Kollegen lassen auf Breuel nichts kommen. Sie sei loyal und geradeheraus. Andere Treuhänder finden, sie benehme sich zu elitär, zu sehr wie eine reiche Bankierstochter. Als einmal ein Vorstandskollege scherzhaft anmerkt, sie gehöre wohl zu den hundert wichtigsten Familien in Hamburg, verbessert sie ihn: zu den wichtigsten zehn.
Klaus-Peter Wild, dem Vorstandsmitglied, hat die Art Rohwedders mehr gelegen. Beide kommen aus Familien, die nie viel besessen haben. Birgit Breuel dagegen kennt das nicht, sie hatte immer Einfluss. Und jetzt hat sie einen der wichtigsten Posten in Deutschland inne.
10. April 1991, Berlin
Für einen Augenblick verändert sich die Stimmung in Deutschland: Auf der ersten Montagsdemonstration nach Rohwedders Tod wird eine Gedenkminute für den ermordeten Treuhandpräsidenten eingelegt.
Am Alexanderplatz geht der Alltag nach dem Attentat unverändert weiter. Nur wenige Tage nach dem Mord an Rohwedder wird eine digitale Unternehmerbörse vorgestellt. In einer Datenbank sind alle Betriebe der Treuhand erfasst, über 8000 Firmen. Potenzielle Käufer sollen sich ein Bild von den Angeboten machen können. Die Anstalt hat noch immer eine Mammutaufgabe vor sich: Allein fünfzehn Großunternehmen – jedes einzelne mit mehr als 20 000 Mitarbeitern – sind noch nicht privatisiert. 10
Die Arbeit wird an diesem Mittwochvormittag kurz unterbrochen: Gut eine Woche nach dem Attentat findet um 11 Uhr ein Staatsakt für den ermordeten Präsidenten statt. Im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, wo sich vor nicht einmal einem Jahr zum ersten Mal die Parlamentarier beider deutscher Staaten getroffen haben, versammelt sich die wirtschaftliche und politische Elite Deutschlands. Treuhandmitarbeiter werden mit Sonderbussen vom Alexanderplatz zur Gedenkfeier gebracht. Die Sonne strahlt, Hubschrauber kreisen, Scharfschützen beobachten von den Dächern am Rande des Platzes die eintreffenden Gäste. Der Platz ist weiträumig abgesperrt.
Die Kinder von Detlev Karsten Rohwedder, die beide in New York leben, sind angereist. Die Tochter wird in den USA zur Journalistin ausgebildet, der Sohn arbeitet bei der Deutschen Bank. Sie sitzen in der ersten Reihe neben dem Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau. Die Witwe Hergard Rohwedder liegt noch im Krankenhaus. 11 Weil die Sicherheitsvorkehrungen der Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen sich als mangelhaft erwiesen haben, findet die Trauerfeier auf Wunsch der Familie in Berlin und nicht in Rohwedders Wohnort Düsseldorf statt. Das Bundeskabinett und fast alle Ministerpräsidenten der Bundesländer sind anwesend. 12
Bundespräsident Richard von Weizsäcker spricht zu der Trauergemeinde: »Wieder sind wir versammelt, doch Detlev Rohwedder ist nicht mehr unter uns … Wir verneigen uns vor dem Opfer dieses Lebens. Das Leid können wir nicht mindern. Aber unsere Achtung vor diesem verantwortungsbewussten
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