Der Diamant (German Edition)
Gewandtheit, zu viel Scharfsinn und Berechnung, als daß er sich der Gefahr ausgesetzt hätte, es mit einer Frau zu verderben, die am Hofe so gut angeschrieben war und die der Kaiser verheiraten wollte. Er rechnete zudem noch auf die Eifersucht, die er in ihr zu entfachen gedachte, als auf das beste Mittel, um die geheime Ursache ihrer Kälte zu ergründen, und entfernte sich um so lieber, als gerade in diesem Augenblick ein neuer Tanz alles wieder in Bewegung setzte. Der Baron schien den Tanzenden Platz machen zu wollen: er lehnte sich gegen eine Marmorkonsole, kreuzte die Arme über der Brust und war ganz in das Gespräch der beiden Damen vertieft. Von Zeit zu Zeit folgte er den Blicken, die beide wiederholt auf die Unbekannte warfen. Während der Baron die Gräfin mit dieser neuen Schönheit verglich, die ein Geheimnis so anziehend machte, verfiel er in eine häßliche Berechnung, die bei den Günstlingen der Frauen häufig ist: er schwankte zwischen einem Vermögen, das er erraffen, und einer Laune, die er befriedigen wollte. Der Glanz der Lichter hob sein sorgenvolles und düsteres Gesicht von den weißen Moirévorhängen, die sein dunkles Haar streiften, so gut ab, daß er wie ein böser Dämon aussah.
Die rechte Schulter leicht gegen die Türfüllung zwischen Tanz- und Spielsaal gelehnt, konnte der Obrist unbemerkt unter seinem dicken Schnurrbart lachen; er genoß das Vergnügen, das Gewoge des Balles zu beobachten; er sah hundert hübsche Köpfe sich nach den Launen des Tanzes wiegen, er las auf einigen Gesichtern, wie auf denen der Gräfin und seines Freundes Martial, das Geheimnis ihrer Erregung und fragte sich, den Kopf wendend, was wohl für eine Beziehung bestehen möge zwischen dem düsteren Ausdruck des Grafen von Soulanges, der immer noch in seinem Lehnstuhl saß, und den traurigen Zügen der Unbekannten, auf deren Antlitz abwechselnd Hoffnung und Angst sichtbar wurde. Montcornet stand da wie der König des Festes; er sah in diesem lebenden Bilde ein Spiegelbild der Welt, und er lachte darüber, während er das interessierte Lächeln von hundert strahlenden und geschmückten Frauen einsammelte. Ein Obrist der kaiserlichen Garde, ein Posten, der den Grad eines Brigadegenerals in sich schloß, war sicherlich eine der besten Partien der Armee. – Es war gegen Mitternacht; Unterhaltung, Spiel, Tanz, Koketterie, Interessen, Bosheit und Intrigen, alles hatte jenen Grad von Erhitzung erreicht, der einem jungen Manne den Ausruf entlockt: »Welch ein schöner Ball!«
»Mein liebes Herz,« sagte Frau von Lansac zur Gräfin, »Sie sind in einem Alter, in dem ich viele Fehler begangen habe. Als ich Sie eben tausend Tode habe erleiden sehen, kam mir der Gedanke, Ihnen ein paar wohltuende Ratschläge zu geben. Wenn man mit zweiundzwanzig Jahren Fehler macht, bedeutet das nicht, seine Zukunft zerstören, das Kleid zerreißen, das man anziehen will? Meine Liebe, wir lernen erst sehr spät, es anzuziehen, ohne es zu zerdrücken. Wenn Sie fortfahren, sich geschickte Feinde und ungeschickte Freunde zu machen, werden Sie sehen, was für ein Leben Sie eines Tages führen müssen.«
»Ach, gnädige Frau, eine Frau hat es nicht leicht, glücklich zu sein, nicht wahr?« rief die Gräfin naiv aus.
»Mein Kind, in Ihrem Alter muß man zwischen dem Vergnügen und dem Glück wählen. Sie wollen Martial heiraten, der für einen guten Ehemann nicht dumm genug und für einen Liebhaber nicht leidenschaftlich genug ist. Er hat Schulden. Er ist imstande, Ihr Vermögen durchzubringen. Doch das wäre noch nichts, wenn er Sie wenigstens glücklich machte. Sehen Sie nicht, wie alt er aussieht? Dieser Mensch muß oft krank gewesen sein; er verbraucht seine letzten Kräfte. In drei Jahren ist er erledigt. Als Ehrgeiziger hat er angefangen, vielleicht bringt er es noch zu etwas; ich glaube es aber nicht. Was ist er denn? Ein Intrigant, der einen ausgezeichneten Geschäftssinn und die Gabe hat, angenehm zu plaudern. Aber er ist zu abenteuerlich, um wahre Verdienste zu besitzen; er wird es nicht weit bringen. Und dann, schauen Sie ihn doch an: liest man nicht auf seiner Stirn, daß er im Augenblick nicht die schöne junge Frau in Ihnen sieht, sondern die Besitzerin von zwei Millionen? Er liebt Sie nicht, meine Liebe, er berechnet Sie, als handelte es sich um ein Geschäft. Wenn Sie sich verheiraten wollen, nehmen Sie einen älteren angesehenen Mann, der sich schon auf der Mitte seines Weges befindet. Eine Witwe darf aus ihrer Heirat keine
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