Der Doppelgänger
Dunkelheit und Kälte wartet? Nachdem Herr Goljadkin den Ausspruch des früheren französischen Ministers Villèle, wie schon oben gesagt, zu sehr passender Zeit im stillen zitiert hatte, erinnerte er sich ebendaselbst aus unbekanntem Grunde auch an den ehemaligen türkischen Vezier Marzimiris, sowie auch an die schöne Markgräfin Luise, deren Geschichte er gleichfalls einmal in einem Buche gelesen hatte. Dann kam ihm ins Gedächtnis, daß die Jesuiten sogar den Grundsatz aufgestellt hätten, man müsse alle Mittel für zulässig erachten, wenn nur der Zweck dadurch erreicht werde. Nachdem Herr Goljadkin aus dieser historischen Erinnerung etwas Mut geschöpft hatte, sagte er zu sich selbst, was seien denn die Jesuiten für Leute? Die Jesuiten seien alle ohne Ausnahme die größten Dummköpfe; er selbst stecke sie allesamt in den Sack; wenn das Büfettzimmer auch nur für einen Augenblick leer werde (dasjenige Zimmer, dessen Tür direkt auf den Flur, nach der Hintertreppe hinausführte, wo Herr Goljadkin sich jetzt befand), dann werde er, unbekümmert um alle Jesuiten, ohne weiteres geradezu hindurchgehen, zuerst aus dem Büfettzimmer in das Teezimmer, dann in dasjenige Zimmer, wo jetzt Karte gespielt werde, und dann geradezu in den Saal, wo jetztPolka getanzt werde. Und er werde hindurchgehen, unbedingt hindurchgehen; allem zum Trotz werde er hindurchgehen, hindurchschlüpfen, und damit basta, und niemand werde es bemerken, und dann werde er schon selbst wissen, was er weiter zu tun habe. In dieser Lage, meine Herrschaften, finden wir also jetzt den Helden unserer durchaus wahrhaften Geschichte, wiewohl es schwer ist zu erklären, was mit ihm eigentlich im gegenwärtigen Augenblicke vorging. Die Sache war die, daß er verstanden hatte bis zur Treppe und bis zum Flur zu gelangen; denn er hatte sich gesagt, warum sollte er nicht dahin gelangen, wohin alle gelangen könnten; aber weiter vorzudringen wagte er nicht; das zu tun wagte er offenbar nicht ... nicht weil er irgend etwas nicht gewagt hätte, sondern einfach, weil er es selbst nicht wollte, weil er mehr Lust hatte im verborgenen zu bleiben. So, meine Herrschaften, wartete er also jetzt im verborgenen und wartete schon genau zwei und eine halbe Stunde. Warum sollte er auch nicht warten? Hatte doch auch Villèle selbst gewartet. »Aber was soll hier Villèle?« dachte Herr Goljadkin; »was kümmert mich hier Villèle? Wie wär's, wenn ich jetzt ... hm ... so ohne weiteres eindränge? ... Ach, was bist du für ein elender Statist!« sagte Herr Goljadkin zu sich selbst und kniff sich mit der erstarrten Hand in die erstarrte Backe; »was bist du für ein Dummkopf, was bist du für ein armer Schlucker; das besagt ja schon dein Name!...«[Fußnote] Übrigens belegte er seine eigene Person mit diesen Kosenamen im gegenwärtigenAugenblicke nur so beiläufig, ohne jeden besonderen Zweck. Aber jetzt, jetzt schickte er sich an, es zu unternehmen und vorzudringen; der günstige Augenblick war gekommen; das Büfettzimmer war leer geworden und niemand darin; Herr Goljadkin sah dies alles durch ein Fensterchen; mit zwei Schritten befand er sich an der Tür und war bereits im Begriffe, sie zu öffnen. »Soll ich hingehen oder nicht? Na, soll ich hingehen oder nicht? Ich will hingehen ... warum sollte ich nicht hingehen? Dem Mutigen gehört die Welt!« Nachdem unser Held sich in dieser Weise Mut gemacht hatte, retirierte er auf einmal ganz unerwartet wieder hinter den Wandschirm. »Nein,« dachte er, »wenn nun aber jemand hereinkommt? Da haben wir's; da ist schon jemand hereingekommen! Warum habe ich auch gezaudert, als niemand darin war? Ich hätte ohne Umstände eindringen sollen! ... Nein, wie ist es möglich einzudringen, wenn ein Mensch so einen Charakter hat! Das ist eine ganz schlechte Veranlagung! Ich habe es mit der Angst bekommen wie ein Hase! Die Ängstlichkeit liegt in meiner Natur; das ist es! Ich verderbe immer alles; das ist keine Frage. Da stehe ich nun hier ganz zwecklos wie ein Tölpel! Zu Hause könnte ich jetzt ein Täßchen Tee trinken ... Das wäre ganz angenehm, so ein Täßchen zu trinken. Wenn ich spät nach Hause komme, wird Petruschka am Ende wieder brummen. Soll ich nicht lieber nach Hause gehen? Hole hier alles der Teufel! Ich gehe nach Hause, abgemacht!« Aber nachdem Herr Goljadkin diesen Entschluß gefaßt hatte, ging er, wie wenn jemand in seinem Innern eine Feder berührt hätte, schnell vorwärts; mit zwei Schrittenbefand er sich im
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