Der Dorfpfarrer (German Edition)
das Familienleben gaben dem Knaben bald sein geistiges und leibliches Gleichgewicht wieder. Als kurz darauf die Familie Balzac nach Paris übersiedelte, war Honoré wieder der alte heitere, lebendige Junge von früher.
Doch auch in Paris scheinen die Lehrer nicht viel von dem Jungen gehalten zu haben, und er verließ bald die Schule, um durch Privatunterricht und Besuch der Vorlesungen in der Sorbonne die Lücken seiner Bildung auszufüllen; denn seine Mutter war so streng als liebend und mochte den Knaben nicht unbeschäftigt sehen. Aber auch hier wieder sehen wir ihn mehr in den öffentlichen Büchereien als hinter seinem lateinischen Aufsatz und seinen lateinischen Versen, und schon jetzt begann er auf dem langen Wege vom Hause nach der bibliothèque royale, von da nach der Sorbonne den Grund zu seiner eigenen, nachmals so berühmt gewordenen Büchersammlung zu legen, den Geschmack für seltene und schöne Drucke, der ihm sein Leben über blieb, auszubilden. Wie viele solcher Liebhabereien und solcher ausgewählter Privatsammlungen sind nicht an jenen Seinekais entstanden, auf denen die Antiquare ihre Ware auszulegen und die jungen wie alten Bewohner des lateinischen Quartiers Spazier- und Arbeitsstunden zu verblättern pflegen! Man fühlt es Balzacs ganzer Geistesrichtung an, daß er sich der Université-Dressur zu entziehen gewußt: sein Gedanke hat eine Originalität, seine Gefühlsweise eine Zartheit, welche die gewöhnliche höhere Gymnasialbildung und Erziehung nicht duldet. Seiner Form andererseits mangelte es immer an dem Maße und dem Geschmack, die jene klassische Tradition ihren Nachfolgern einzuimpfen pflegt. Kein Wunder, wenn er wenig verstanden wurde. »Seine Eltern sahen in ihm wie seine Lehrer einen höchst gewöhnlichen Jungen, den man sogar treiben mußte, damit er seine lateinischen und griechischen Exerzitien mache. Seine Mutter, die sich besonders mit ihm abgab, ahnte so wenig, was ihr ältester Sohn schon war und was er einst werden würde, daß sie die scharfsinnigen Bemerkungen, die ihm manchmal entfuhren, dem Zufall zuschrieb. Du verstehst sicherlich nicht, was du sagst, Honoré, pflegte sie dann manchmal zu sagen. Er, statt aller Antwort, lächelte, mit jenem feinen, spöttischen, gutmütigen Lächeln, das ihm eigen war.« (Mad. Surville.)
Auf den ausdrücklichen Wunsch seines Vaters, der keine Bildung für vollständig hielt, solange sie nicht mit gediegenen juristischen Kenntnissen verbunden, studierte Honoré Rechte, diesmal mit Eifer und Erfolg, und indem er schon die Praxis mit der Theorie verband; denn er wohnte und arbeitete die drei Jahre über bei einem Notar, dem er denn auch viel von der Sicherheit und der fast übertriebenen Genauigkeit zu danken hatte, mit der er in seinen Romanen juristische Verwicklungen zu schildern weiß. Mit zwanzig Jahren hatte Balzac seine Prüfungen bestanden und konnte in die ihm vom Vater in landesüblicher Weise bereitete, behäbige und gesicherte Stellung eintreten. In der Tat war ein alter Freund des Vaters, der eine ausgedehnte Klientel als Anwalt besaß, bereit, den jungen Mann in seinem Geschäft zu assoziieren, ihm dasselbe in wenigen Jahren gegen eine geringe Einlage ganz abzutreten. Eine gute Heirat in französischem Sinne sollte die Existenz des Jünglings noch glänzender gestalten. Der Vater war nicht wenig erstaunt, als sein Sohn sich entschieden weigerte, die ihm gebotene Stellung anzunehmen, und ebenso entschieden erklärte, die schriftstellerische Laufbahn ergreifen zu wollen. Nach lebhaften Erörterungen gab indes der Alte doch nach, obschon er gerade jetzt Verluste erlitten und obschon er seinem Sohne nicht das mindeste Talent zutraute. Auch ward seine Nachgiebigkeit im Freundeskreise nicht wenig getadelt. Vielleicht hoffte er, Honoré würde, nach kurzer Prüfung und rascher Enttäuschung, für immer von aller Großmannssucht geheilt, ins Nest zurückkehren. Es wurden ihm 1500 Franken jährlich für zwei Jahre Probezeit in Paris bewilligt, während die Familie ihrer verminderten Mittel wegen die teure Hauptstadt verlassen mußte. Seine ersten literarischen Versuche rechtfertigten alle schlimmen Prognostica der Familie. Ein Trauerspiel »Cromwell«, an dem er mit wahrer Begeisterung und unermüdlichem Fleiße gearbeitet, ward von dem befreundeten Auditorium, dem er es vorlas, mit beredtem Stillschweigen angehört; und als er es seinem Schwager mitteilte, war dieser aufrichtig genug, ihm zu erklären: »Der Verfasser möge
Weitere Kostenlose Bücher