Der Drache am Himmel
vorher niemand da gewesen? Und Henry? Ihm war ich doch eben wirklich begegnet? Aber so sicher war ich mir gar nicht mehr, als ich zur Villa zurückkehrte.
Soll ich noch erzählen, wie sich mein kleiner Dialog mit Fiona entwickelte? Nach langem Nachdenken sagte ich schließlich zu ihr:
»Ich glaube auch nicht, dass der liebe Gott alles sieht.«
»Dann kann ich also machen, was ich will?«
»Zum Beispiel?«
»Fabio ist manchmal ganz fies und sagt, ich sei zu dick. Da ist mir eingefallen, ich könnte seine Fische im Aquarium töten.«
»Ja, stimmt, das könntest du.«
»Rosa!«, schrie sie empört.
»Ich sage ja nicht, dass du es tun sollst, Kind!«
»Wenn es doch aber niemand sieht! Also, das mit den Fischen würde ich jetzt natürlich nicht mehr machen, weil ich es dir schon verraten habe. Aber etwas anderes vielleicht.«
»Das Dumme oder vielleicht auch Gute ist nur«, sagte ich, »dass einer es immer weiß. Du selbst nämlich.«
»Das ist doch aber nicht dasselbe!«
»Du wärst also froh, wenn es einen lieben Gott geben würde, der alles sieht?«
»Natürlich. Ist doch sehr praktisch!«
Schade, dass ich Henry diese kleine Weisheit Fionas nicht mehr erzählen kann, dachte ich. Es hätte ihn getröstet.
Editorische Notiz
D rei Monate vor Drucklegung wurde dieser Roman anonymisiert einigen Testlesern vorlegt. Dirk K. irgendwo in Deutschland schrieb dem Verlag unter anderem: »So habe ich auch Mama Rosa ins Herz geschlossen. (…) Aber Henry als Luzifer kann mich einfach nicht überzeugen. Er ist schlechthin nicht teuflisch genug!«
Über verschlungene Wege gelang es, Henry in Kanada diesen Brief des Herrn K. zukommen zu lassen.
Am Tag vor Drucklegung traf seine Antwort ein:
Lieber Autor,
leider muss ich Herrn K. widersprechen: Mein einziger, sprich erster und letzter wirklicher Auftritt in dieser Welt wird in diesem Roman völlig korrekt geschildert. Warum nur glaubt Herr K. immer noch, er wisse, wie ich wäre, wenn es mich gäbe?!
Ach! Ich weiß doch, warum. Schließlich habe ich ja gehört, was Mama Rosa der kleinen Fiona erklärt hat … Ähnlich wie der allwissende G. bin ich offenbar eine ausgesprochen praktische Erfindung. Eine nützliche Schimäre. Fair finde ich diese mir aufgenötigte »Existenz« zwar immer noch nicht, aber ich will mich damit abfinden. Der Andere tut es ja auch. Oder hat man G. je gefragt, ob er Lust hat, den lieben Gott für diese Menschen zu geben? Na, also! Machen wir halt beide das Beste daraus.
Ich wollte meine Entlassung erzwingen. Das ist misslungen. Die Versuchsanordnung war auch zu stümperhaft. Wie etwa hätte ich das Ergebnis meiner Feldstudie vorstellen können, ohne meine Identität preiszugeben? Und welche Identität überhaupt? Also! Blindwütig und dilettantisch war mein Experiment!
Aber ich habe etwas erkannt, das mich zutiefst befriedigt: Jede und jeder kann mir jederzeit den Laufpass geben. Wunderbar! Es reicht, wenn sie oder er für sich selbst geradesteht. Danke, Carla. Danke, Severin. Danke, Lilith und Maurice!
Und natürlich: Danke, du fabelhafte Mama Rosa!
Von einem Menschen allerdings bekomme ich hoffentlich nie den Laufpass: von Barbara. Aber das ist eine andere Geschichte – notabene die beste, die mir passieren konnte.
Mit vorzüglichem Gruß
Henry Lauterbach, z. Z. Toronto
Ich freue mich, dass Henrys Brief noch rechtzeitig eingetroffen ist.
Saint Anastasie, Januar 2010
Andreas Sommer
Dank
K aum hatte ich diesen Roman konzipiert, erschreckte mich Norman Mailer. Seinem neuen Roman Das Schloss im Wald (ausgerechnet von meinem Verlag publiziert) hatte er eine ähnliche »Teufelsidee« unterlegt, wie ich sie eben entworfen hatte. Ich klagte mein Leid meiner Verlegerin. Brigitte Fleissner-Mikorey formulierte daraufhin die denkbar sinnigste Ermutigung: »Lassen Sie sich von Mailer nicht ins Bockshorn jagen.«
Ich ließ mich also nicht jagen, sondern schrieb, begleitet von einer wunderbaren, lebensklugen Lektorin, Karin Weingart. (Die mir diese Anmerkung hier streichen wollte.) Sie gäbe eine gute Romangestalt ab und nur weil ich sie dadurch als Lektorin verlieren müsste, werbe ich sie nicht für die Belegschaft meines nächsten Romans ab (Arbeitstitel: Das Wunder).
Dank gebührt auch Tanja Frei, der herausfordernden Programmleiterin des Verlages. Ich meine es als großes Kompliment, wenn ich sage: Genügsam ist sie nicht.
Wenn Zweifel mich quälen oder erzählerische Schwierigkeiten mich blockieren, flüchte ich mich auf das
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