Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
auf den Drachen werfen zu können. Als wären der zweite und dritte und alle weiteren Blicke nicht so viel wert, als wäre der Drache ein paar Augenblicke später nur halb so betrachtenswert oder könnte gar platzen wie eine Seifenblase.
Aus dem Inneren drang ein regelmäßiges Schnauben, ein schwerer, fast erdiger und zugleich süßlicher Geruch lag in der Luft. Er war streng, aber nicht unangenehm, im Gegenteil. Ben sog ihn genussvoll ein.
Längst nicht alle hatten Platz im Stall, wer nicht gleich hineingekommen war, drängte weiter vor der Tür und wartete, dass die Ersten genug gesehen hatten. Draußen hörten sie begeistertes, ehrfürchtiges Gemurmel und Sidhys selbstbewusste Stimme: »Komm her, Feuerschuppe, komm her zu mir.« Und: »So ist es gut, alter Junge, ja, so ist es gut.«
Ben stellte sich auf die Zehenspitzen, aber er konnte nicht über alle Köpfe hinwegsehen. Zudem war es im Stall dunkler als in der grellen Sonne. Von ihr geblendet, erahnte er drinnen nur Schemen.
»He! Lasst uns auch mal«, murrte der hoch aufgeschossene Yhmas, der ganz vorn an der Tür stand und wahrscheinlich alles sehen konnte, und andere fielen in sein Murren ein.
»Gleich!«, tönte es aus dem Inneren, und dann, irgendwann, ging es tatsächlich weiter.
Sidhy hatte die Zwischentür zu den Pferdeställen geöffnet, und die ersten Mädchen und Jungen traten mit glänzenden Augen weiter vorne wieder aus den Stallungen.
Sie wagten es noch immer nicht, laut zu reden, und stellten sich hinter Ben gleich wieder an, aber ganz ruhig und ohne zu drängeln. Ben hüpfte auf und ab, seine Geduld war aufgebraucht.
»Ich möchte den ganzen Tag nichts anderes tun als Feuerschuppe ansehen und ihn streicheln«, sagte ein kleines Mädchen mit Stupsnase und großen grünen Augen, das wie eine Schwester vom Müller-Taque aussah, nur hübscher.
Endlich konnte auch Ben einen Fuß in den Stall setzen, und sobald seine Augen aus der Sonne waren, konnte er alles deutlich erkennen. Doch ihn interessierte ohnehin nur der Drache, auch wenn er nur einen Teil von ihm sehen konnte, zu viele standen um ihn herum.
Feuerschuppe trug seinen Namen zu Recht, seine Schuppen waren überwiegend aus dunklem, kräftigem Rot, teilweise jedoch auch orange oder gelb gemustert. Durch ein kleines Fenster drang Licht herein, und wo es auf den Drachen fiel, schien seine Haut zu tanzen, als bestünde sie aus zahllosen fröhlichen Flammen. Feuerschuppe war deutlich massiger als ein Pferd und mit Schwanz sicher sieben oder acht Schritt lang, ziemlich groß für einen Reitdrachen und sicherlich so imposant wie der schwarze des Drachenritters.
Bens Mund wurde vor Ehrfurcht ganz trocken, dafür begannen seine Hände zu schwitzen. Er wischte sie an der Hose ab, und ihn erfasste wieder die grenzenlose Begeisterung und das atemlose Staunen, das ihn damals auf der Hauptstraße gepackt
hatte, und er wusste, er musste einfach alles dafür tun, Drachenritter zu werden.
»Nächste Woche werden wir ihm als Erstes eine Tür in die Wand hauen, damit er immer raus in den hinteren Garten kann, wenn er möchte«, sagte Sidhy gerade.
»Aber läuft er denn dann nicht weg?«, fragte Shayleen, Yankos Cousine.
»Weglaufen?« Sidhy lachte. »Nein, nein. Feuerschuppe ist ein Freund, kein Gefangener. Sollte er wirklich einmal weglaufen, hat er seine Gründe dafür und kommt danach auch wieder.«
Der Drache lümmelte bequem und zugleich majestätisch auf einer Steinliege, hatte den breiten Kopf mit der langen, eleganten Schnauze auf einem großen Strohkissen abgelegt und ließ sich streicheln. Die Augen hatte er halb geschlossen, fast, als döste er. Manch einer näherte sich ihm nur sehr vorsichtig, aber jeder berührte ihn letztlich doch, und alle rieben seine Schulterknubbel, denn das brachte schließlich Glück.
Ben zitterte nun am ganzen Körper vor Aufregung, die verschwitzten, drängenden Körper um sich nahm er nicht mehr wahr. Erst vor zwei Nächten hatte er die Schulterknubbel der Statue gerieben, und da hatte er zwar davon geträumt, sich aber nicht vorstellen können, schon so bald einem echten Drachen zu begegnen. Einem wunderschönen noch dazu, der der ganzen Stadt Glück bringen würde. Alles in Ben drängte danach, ihn zu berühren, seine Hände schienen wie magisch von den Schulterknubbeln angezogen zu werden, er spürte ein richtiges Kribbeln der Vorfreude in den Handflächen. Er schnaubte durch die Nase aus und wisperte unhörbar: »Hallo Feuerschuppe.«
Der Drache
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