Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
die Mine von heute auf morgen geschlossen worden und Trollfurt ebenso schnell in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ohne Blausilber interessierte sich niemand für die Stadt. Die einflussreichsten Familien waren fortgegangen, zurück blieb niemand, der einen Drachen besaß, nicht einmal einen hundegroßen Wach- und Jagddrachen. Und da man Geld und Einfluss und das Wohlwollen des Ordens benötigte, um einen Drachen zu erhalten, blieb Trollfurt über Jahre ohne Drachen. Denn wie sollte man sich hier dieses
Wohlwollen verdienen, in einer Stadt, die so abseits lag, dass sie von den Drachenrittern gemieden wurde?
Und jetzt war völlig unvermutet und ohne große Ankündigung doch ein Drache in die Stadt gekommen.
Yanko lief ein gutes Stück vor Ben zwischen Byasso und dem schlaksigen Taque und fuchtelte mit den Armen, während er von offenbar wilden Dingen erzählte. Niemand beachtete Ben.
Schließlich erreichten sie das befestigte Anwesen, das dem einstigen Minenbesitzer gehört hatte und nun auch vom neuen bewohnt wurde. Das stählerne Tor stand offen, doch zwei große muskulöse Diener mit steinernen Gesichtern musterten die Kinder misstrauisch. Sie postierten sich mitten im Tordurchgang und ließen nur Sidhy und den Priester ein. Der Junge eilte zum Haupthaus hinüber, um seinem Vater von dem zahlreichen Besuch zu berichten.
Ben ging ein paar Schritte näher an das Tor heran, um einen Blick auf das Gelände zu werfen. Das massive Haupthaus mit dem prunkvoll verzierten Balkon lag zwanzig oder dreißig Schritt vom Tor entfernt, rechts kauerten die Gesindehäuser und links die Stallungen. Die Farbe an den Wänden war noch immer verblasst und teilweise abgeblättert, doch sahen die Gebäude nicht mehr verlassen aus. Zahlreiche Fenster standen offen, Stimmen drangen heraus, vor den Stallungen wurden eben Pferde an eine große offene Kutsche gespannt, eine Magd hängte Wäsche auf die Leinen, die nur zum kleinen Teil hinter den Gesindehäusern hervorlugten. Der kleine Brunnen inmitten des Hofs war wieder mit Wasser gefüllt, die Sonne spiegelte sich auf der Oberfläche. Nächste Woche würde Yirkhenbarg sicher mit den Renovierungsarbeiten beginnen.
Pferde wieherten, Hunde bellten, und dann erklang ein tiefes, zufriedenes Fauchen aus den Stallungen. Ein Fauchen, das Bens Haut kribbeln ließ. Die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Ehrfürchtig verstummten alle Gespräche um Ben herum, jeder drängte sich näher ans Tor, um den Drachen als Erster sehen zu können.
»Zurück, Kinder!« Die beiden Diener hatten bei dem Fauchen nicht ein bisschen gezuckt, natürlich, sie waren es ja auch gewohnt, in der Nähe eines Drachen zu sein.
In diesem Moment kamen Habemaas, Sidhy und ein großer bärtiger Mann aus dem Haupthaus. Als der Mann die dicht zusammengedrängten Kinder sah, lachte er laut auf.
»Ein paar Freunde? Das nennst du ein paar Freunde?« Seine tiefe Stimme drang deutlich bis zu ihnen herüber. Aber er winkte gut gelaunt, und so gaben die Diener das Tor frei.
Yirkhenbarg war vielleicht vierzig Jahre alt, sein Haar fiel noch dicht und ohne graue Strähnen auf seine Schultern, und er bewegte sich geschmeidig wie ein zehn Jahre jüngerer Mann. Er hatte dieselbe schmale Nase wie sein Sohn. Der dickliche Priester Habemaas mit dem spärlicher werdenden Haar und den kleinen, eng stehenden Augen wirkte neben ihm nicht mehr wie einer der wichtigsten Männer der Stadt, er strahlte nicht halb so viel Macht aus, so sehr er sich auch um eine gebieterische Haltung bemühte. Dass Yirkhenbarg dieser Eindruck in einem schlichten grünen Hemd und mit einem Lächeln gelang, beeindruckte Ben umso mehr.
»Ich wollte euch nur kurz begrüßen, ich muss gleich wieder zurück an die Arbeit. Aber Sidhy«, hier legte er dem Jungen die Hand auf die Schulter, »wird euch meinen Drachen Feuerschuppe zeigen, und ihr dürft ihn gern auch streicheln. Nur seid bitte so gut und stürzt nicht alle gleichzeitig auf Feuerschuppe
zu, das könnte ihn nervös machen.« Er winkte noch einmal in die Runde, lächelte und schritt zurück ins Haupthaus.
»Ihr habt gehört, was Vater gesagt hat. Jetzt kommt mit.« Sidhy schritt zu der besonders breiten Stalltür ganz am hinteren Ende der Stallungen. Das Holz der Tür war verwittert, doch die Scharniere schienen frisch geölt; sie machten kein Geräusch, als Sidhy die Tür aufschob.
Keiner sagte ein Wort, alle drängten sich stumm und aufgeregt nach vorn und reckten die Hälse, um den ersten Blick
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