Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
Berge. Heute wollte er niemanden mehr sehen.
EIN NEUES HEIM
I n den nächsten Tagen sah man ganz deutlich, welcher Junge in Trollfurt die Schulterknubbel des Drachen nicht berührt hatte. Überall entdeckte Ben strahlende Gesichter, Mädchen lächelten Sidhy hinterher, Jungen klopften ihm ständig auf die Schulter und machten seiner schönen Schwester Nica den Hof. Alle sprachen davon, wie viel Reichtum Trollfurt zu erwarten hatte, jetzt, da das Glück in die Stadt zurückgekehrt sei und in der Mine wieder Blausilber gefördert werden würde. Dann würde sicher auch der Orden der Drachenritter wiederkehren.
Yanko erzählte eines Mittags, dass seine Eltern aufgehört hatten zu streiten, und dass er einen Gulden gefunden hatte, einfach so, die blinkende Münze hatte mitten auf der Straße gelegen.
»Ein Gulden, Ben, ein ganzer Gulden!«
»Ein halber wäre ja auch zu blöd gewesen«, brummte Ben missmutig. So viel Geld hatte er noch nie besessen.
Yanko lachte, klopfte ihm auf die Schulter und lief nach Hause.
Ben hatte kein Geld gefunden, nicht einmal einen alten Knopf, gar nichts. Er hatte auch noch kein Wort mit Nica gewechselt, er wusste nicht einmal, was er sagen sollte, sollte er sie je ohne einen ihrer Verehrer oder ohne Freundin antreffen. Verehrer und Freundinnen hatte sie selbstverständlich zuhauf, sie konnte schließlich seit Jahren Feuerschuppes Schulterknubbel reiben, wann immer sie wollte.
Er hatte dafür Ratten im Haus, die ihm in drei aufeinander folgenden Nächten das Frühstück wegfraßen; Vorräte besaß er nicht, und so verbrachte er die Vormittage hungrig, bis er einen Fisch fangen oder eine Frucht stibitzen konnte.
Manchmal schubste ihn irgendein Junge herum, wenn Sidhy in der Nähe war, um diesen zu beeindrucken.
Von einem der Nachbarhäuser löste sich ein Dachziegel und stürzte neben ihm zu Boden. Dass er nicht getroffen wurde, konnte man eigentlich nicht Glück nennen; es war einfach eine Warnung der Götter. Und als ihm am nächsten Tag beim Üben mit der alten Klinge ein Ast ins Gesicht schnellte und ihm fast das Auge ausstach, wusste er, jetzt wurde es ernst. Die breite Schramme auf seiner Wange blutete, er ging augenblicklich nach Hause, ohne weitere Äste im gespielten Drachenkampf abzuhacken.
Seine Warze juckte wie wild, bis plötzlich neben ihr eine zweite zu wachsen begann. Ein kleines, hässliches, weißes Ding. Panisch drehte er die Hand im hellen Sonnenlicht hin und her, ob irgendwo noch eine dritte Warze wäre. Noch konnte er keine entdecken. Aber an zwei Punkten schien ihm seine Haut bleicher als sonst. Waren das erste Anzeichen? Würden dort Warzen wachsen? Er strich die Stellen mit Speichel und kühler Erde ein und murmelte Hellwahs Namen.
Wenn alle anderen in Trollfurt nun Glück hatten, musste ja alles Pech bei ihm hängen bleiben. Das durfte nicht sein, das konnte er nicht einfach so zulassen! Er musste irgendwie zu Feuerschuppe gelangen, um seine Schulterknubbel zu reiben. Anders würde er nicht mehr lange überleben.
»Jetzt übertreibst du aber«, sagte er sich, aber sicher war er nicht. Wenn wirklich alles Pech Trollfurts auf ihn fiel, dann würde er sterben müssen. Das sollte er sich gar nicht schönreden.
So viel Pech konnte niemand überleben. Seine einzige Hoffnung waren Feuerschuppes Schulterknubbel, und wenn er sie gerieben hatte und das Glück ihm wieder hold war, fand sich vielleicht ja auch eine Drachenschuppe, mit der er seine beiden Warzen wegzaubern konnte. Oder wie viele auch immer es dann sein würden. In ihm saß die Angst, dass er auf dem Friedhof doch gesehen worden war und sich die Warzen nun über seiner Hand ausbreiten würden, vielleicht über den ganzen Arm oder gar seinen ganzen Körper. Alles würde jucken, er würde sich nur noch schwerfällig bewegen können, und dann ginge er als Ben der Warzenjunge in die Geschichte Trollfurts ein. Eine Lachnummer und zugleich der Schwarze Mann, mit dem man kleine Kinder noch lange nach seinem viel zu frühen Tod erschrecken konnte.
Ben beschloss, erst wieder einen Fuß vor die Tür zu setzen, wenn er einen Plan hatte, wie er ungesehen in Feuerschuppes Stall gelangen konnte. Na gut, um sich Essen zu beschaffen, musste er hinaus, aber das würde er nachts machen. Er wollte einfach keiner dieser glücklich grinsenden Gestalten begegnen.
Er legte sich auf sein Bett und starrte an die Decke. Hier hatte er seine Ruhe, aber ein Plan wollte ihm nicht einfallen. Er dachte an das hohe Tor aus
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