Der dreizehnte Apostel
fände sie im Neuen Testament wohl kaum als »Magdalena«, nämlich Angehörige einer geachteten Familie aus Magdala, bezeichnet. Die Jünger aus dem Handwerker-und Händlerstand werden gewöhnlich nicht durch Angabe ihres Herkunftsorts, sondern durch Nennung ihres Vaternamens näher identifiziert. Jakobus, Sohn des Zebedäus, zum Beispiel. Bei Lukas 8,2 erfährt man, daß »Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren«, unter jenen etlichen Weibern war, d ie neben den Zwölfen Jesus nach folgten, »weil er sie gesund gemacht hatte von den bösen Geistern und Krankheiten«, wobei nichts darauf hinweist, daß es sich bei den erwähnten sieben Teufeln um etwas Schlimmeres gehandelt hätte, als was man heute mit dem Namen irgendeines Nervenleidens bezeichnen würde. Bei Matthäus, Markus und Lukas ist zu lesen von einer nicht beim Namen genannten Sünderin, die Jesu Füße mit ihren Tränen wäscht, mit ihren Haaren trocknet und mit Salbe salbt. Johannes 12,3 identifiziert diese Frau mit Maria, einer Schwester des von den Toten auferweckten Lazarus. Später wurde diese Maria von Bethanien, hier schon mit jener Sünderin identifiziert, mit Maria von Magdala verquickt, also daß endlich die letztere als die Sünderin vorgestellt werden konnte, die Jesus die Füße salbte und von der Jesus sprach. »Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt« (Lukas 7, 47). An diesem Irrtum hielten auch so sorgfältige Leser der Heiligen Schrift wie Augustinus, Gregor der Große und Beda Venerabilis fest. Zweifellos waren es politische Gründe, welche die Kirchenväter veranlassten , der Verwandlung der Maria Magdalena in eine geläuterte Prostituierte zuzustimmen, keineswegs ausschließlich verwerfliche übrigens.
Als erlöste Hure bot Maria Magdalena Hoffnung auch den am tiefsten Gefallenen. Die christlichen Klöster boten vielen Frauen Zuflucht, die die Not in die Prostitution getrieben hatte. Maria von Ägypten, eine geläuterte und bekehrte Prostituierte, war unter den ersten Heiligen, die die Kirche verehrte. Nach der Trennung der koptischen und der orientalischen Kirchen von der römischen wurde im Abendland die Gestalt jener ägyptischen Maria mit derjenigen der Maria von Magdala verschmolzen. Für die Theologie wurde die bekehrte Dirne das Inbild der von Hesekiel angeklagten Hure Israel, erlöst durch Jesus Christus; und desgleichen Vertreterin der durch denselben erlösten Eva, der Mutter des Menschengeschlechts und Mitschuldigen an dessen Sündenfall.
13 Hier wie bei vielen Autoritäten der frühen Kirche äußerte sich eine Furcht vor dem Anblick weiblichen Haupthaars, die nicht als neurotisch zu diagnostizieren heute schwerfällt. »Ein Weib aber, das da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt«, schrieb in seinem 1. Brief an die Korinther (11,5) Paulus, und weiter: »Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr auch das Haar ab. Nun es aber übel steht, daß ein Weib verschnittenes Haar habe und geschoren sei, so lasset sie das Haupt bedecken.« Die späteren Kirchenväter teilten die diesbezüglichen Vorurteile des Paulus (und unseres Autors). In dem Paulus fälschlich zugeschriebenen 1. Brief an Timotheus 2, 9 wird angeordnet, »daß die Weiber in zierlichem Kleide mit Scham und Zucht sich schmücken, nicht mit Zöpfen oder Gold oder Perlen oder köstlichem Gewand«. Ebenso im 1. Brief des Petrus 3,3: »Ihr Schmuck soll nicht aufwendig sein mit Haarflechte n und Goldumhängen oder Kleider anlegen …« Auch Hieronymus wetterte gegen weibliche Haarpracht, echte und falsche; einer Frau, welcher die Kinder starben, weist er nach, daß sie sich diese Strafe Gottes zugezogen, indem sie sich sündig mit einer Perücke aufgeputzt zur Schau gestellt hat. Ambrosius und Augustinus fanden nichts schändlicher als zur Schau gestelltes Frauenhaar. Cyprianus hielt das Tragen einer Perücke sogar für schändlicher als Ehebruch, obwohl der letztere in vielen frühen Kirchengemeinden als Kapitalverbrechen geahndet, also mit dem Tode bestraft wurde. Tertullian tadelt in De cultu feminarum die ihr Haupthaar präsentierenden Frauen von Karthago und besteht in De virginibus velandis darauf, daß auch die Jungfrauen in der Öffentlichkeit Schleier tragen.
Erst in Anbetracht dieser Zeugnisse wird ganz verständlich, in welchem Maße Jesus das Gefühl für Sitte und Anstand verletzte, als er’s zuließ, daß eine Frau, die als Sünderin galt, ihm die Füße
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