Der dritte Berg
ersten Mal begreife ich, dass das Leben auch eine bodenlose Treppe nach unten sein kann, und dass wir von diesem Fall immer nur einen kleinen Schritt entfernt sind.
Dann schlafe ich ein. Gegen Mittag werde ich geweckt. Die Hitze ist schlimmer geworden. Die Polizisten bewegen sich kaum, hören bloà Radio (oder ist es Fernsehen?). Ich bekomme viel zu wenig zu trinken. Sie bringen mir das Essen und ihre Mienen sind verschlagen. Es ist kein einfacher Irrtum, weshalb ich hier bin. Es ist ein perfekt geplanter Irrtum.
Am Abend des zweiten Tages werde ich zu einem Verhör abgeholt. Es wird eine selbst für die bengalische Polizei lächerliche Aufführung. Das erste Mal im Leben habe ich das Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein. Nichts kann ich mehr aus eigener Kraft bewirken. Zum ersten Mal spüre ich die Knute der MACHT .
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Vor meinem Fenster steht eine Wand aus starren, erhitzten Luftmolekülen. Brandgeruch schlängelt sich zwischen ihnen hindurch und schafft es bis an meine Nase. Ein herrlicher Duft in meinem stinkenden Leben, den ich nicht nach seiner Herkunft befrage. Drei Ratten statten mir einen Besuch ab, winken von der Gitterfensterbrüstung herab, putzen sich zuckende Bärtchen und machen sich, herumtollend, aus dem Staub, als ich ihnen zuflüstere. Das Leben wird leicht, wenn der Körper sich dem Punkt nähert, an dem er kollabieren wird. Ich schwebe. Ich könnte es hier noch eine Weile aushalten. Ich werde sie aussitzen; die bengalische Polizei wird darum betteln, dass ich endlich abhaue.
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MAJOR SENGUPTA (mäÃig beleibt, dunkel, eine Narbe nachbarlich an der aufgeblähten, imposanten Nase) lächelt kriecherisch. Reptilienförmig wird sein Gesicht dabei. Gegen fünf Uhr morgens kommt er in meine Zelle und weckt mich. Tapfer erträgt er den Gestank, als ich mich langsam aufrichte. Die Ratten, sie sind weg. Der Brandgeruch ist noch da. Unter Bitten um Vergebung, Sätzen über Entschädigungen und offizielle Entschuldigungen der Stadt Kalonagar geleitet der Major mich in einen Waschraum, den ich bisher nicht zu Gesicht bekommen habe. Er wartet geduldig, bis ich mir Gesicht und Hände gereinigt habe, und bringt mich aus der Polizeistation zu einem wartenden Wagen. Sengupta legt mir kein einziges Schriftstück vor. Er händigt mir bloà meinen Pass aus.
»Echt«, sagt er.
Ich tue seit zwanzig Minuten so, als würde ich ihn nicht wahrnehmen.
Im Wagen hält mir Sengupta eine eiskalte Zweiliterflasche Cola hin, die ich auf der Fahrt leere. Obwohl ich Cola hasse. Dann setzt er mich wie ein kostbares Gepäckstück am Eingang des Oberoi ab. Ein Hotelboy öffnet erstaunt die Wagentür. Auch Sengupta steigt aus, doch ich ergreife seine mir entgegengestreckte Hand nicht und renne zur Rezeption, um eine Magnetkarte zu holen. Zum Glück hat meine schöne Rezeptionistin nicht Dienst. Dann nehme ich die Feuertreppe hinauf in mein Zimmer. Ich will im Lift niemandem begegnen. In meinem Zimmer rufe ich Sophias Mobiltelefon an. Niemand antwortet. Ich bete darum, dass es ihr gut geht. Dann springe ich unter die Dusche und seife mich mehrmals ein, bis ich davon überzeugt bin, menschlichen und nicht tierischen Geruch abzugeben. AnschlieÃend stelle ich die Klimaanlage auf Stufe vier und lege mich aufs Bett.
Es ist irgendwann mitten am Tag, als ich erwache. Das Fenster in meinem Badezimmer ist offen und die Klimaanlage ist abgestellt. War ich das selber? Vielleicht habe ich gefroren. Gefroren! DrauÃen ist es wieder neblig-hell.
Ein Klopfen an der Tür hat mich geweckt. Andauernd werde ich neuerdings geweckt. Ich döse aber wieder ein. Es klopft abermals. Sophia ruft meinen Namen und versucht, mich zum Ãffnen der Tür zu bewegen. Worauf ich für Einlass sorge.
»Schön, dass du mal vorbeischaust«, sage ich.
»War es sehr heftig?«, fragt Sophia zur BegrüÃung. Dabei dreht sie an einer Haarlocke und hält den Kopf schief. Sophia sieht irgendwie anders aus, und sie ist wohlauf.
Ich antworte nicht.
»Schmithausen hat mich angerufen. Erst gestern hat er von der Polizeiaktion gehört. Er wohnt jetzt in einem anderen Hotel. Frag mich nicht, welches.«
Sophia tritt näher und küsst mich flüchtig auf die Wange. Ich lasse meinen Kopf hängen und schaue sie kaum an.
»Sauer?«, fragt Sophia.
Ich weià nicht, ob ich sauer bin, und wenn, dann stinksauer. Vielleicht bin ich
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