Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
Vom Netzwerk:
Begriff. Es hat Zeiten gegeben, da hat uns ein bengalischer Minister herumgeführt, wenn unsere Familie zu Besuch kam.
    Ich stiere Sengupta an, und falls ich geglaubt habe, ich würde nun Gelegenheit erhalten, meinen Pass zu holen, habe ich mich, nun ja, geirrt. Constable Mitra (ich weiß nicht, woher ich seinen Namen kenne) beginnt, sich in ziemlich ungehobelter Weise an Schränke, Schreibtisch und an meinen Koffer heranzumachen. Wütend trete ich eine Delle in die Gipswand des Salons und verletze dabei meinen großen Zeh.
    Bevor Mitra fündig wird, werde ich abgeführt und in ein Polizeiauto gedrängt. Eine halbe Stunde später finde ich mich auf einer dreckigen Polizeistation am Stadtrand von Kalonagar wieder. Dort werde ich ganz still. Ich habe Schwierigkeiten mit der Temperatur. Die Luft in diesem Gebäude hat sich in diesem Sommer noch nicht bewegt. Bereits beim Eintreten breche ich in Schweiß aus. Ungemildert durch das Meer schiebt sich die Hitze des bengalischen Umlands in diesen Stadtteil herein. Das Quecksilber erreicht ohne Mühe vierzig Grad. Und es ist noch nicht mal elf Uhr vormittags.
    Im Verhörzimmer ahne ich, dass ich diese schmutzstarrenden Räumlichkeiten heute nicht mehr verlassen werde. Nach einer absurden Befragung, die nur offenlegt, um welch unwürdige Posse es sich hier handelt, führen mich Mitra und ein Komplize kurzerhand ab. Sie sperren mich in eine brütend heiße Jauchegrube von Zelle.

 
    Â 
    Â 
    ICH BEGINNE ZU STINKEN wie die in den Boden eingelassene, kotbeschmierte Stehtoilette. Wenn ich mich bewege, ducken sich graubraune, riesige Kakerlaken an der Wand und unter dem Brettergestell, das mir als Sitzbank und Bett dient. In den Nächten fallen sie von der Decke auf mich herab. Die mit Bitumen gestrichenen Wände sind gesprenkelt mit Kotresten, über die sich Staubkrusten gezogen haben, und an den Gitterstäben des viel zu kleinen Fensters kriechen ekelhaft durchsichtige Termiten zur Decke empor und verlieren sich in einer Betonritze. Dann beginne ich wie diese Zelle zu sein. Ich bin eine dunkle Welt, die von beispielloser Hitze zusammengepresst wird zu einem dumpfen Block und spektakulär riecht.
    Am ersten Abend schon erscheint mir das Toilettenloch im Boden wie eine Pforte zur Unterwelt, aus der Schwärme von Mosquitos hervordringen.
    Mein Großvater, anfangs Politiker, hatte elf Mal das Vergnügen. 1921 geht er zum ersten Mal in britische Gefangenschaft in Kalkutta, 1922 dann erneut, jetzt zusammen mit Gandhi, im Herbst 1924 wird er wieder verhaftet und hat ab Januar 1925 Gelegenheit, Südostasien kennenzulernen: er wird in das teuflische Holzbarackengefängnis von Mandalay in Zentralburma verlegt, das er erst zwei Jahre später wieder verlässt. Er reist auf britische Kosten, sieht die Gefängnisse von Alipur, Delhi, Mandalay und selbst von Pune, er steht unter Hausarrest in Darjiling und in seinem Haus in Kalkutta, wo er zuvor Mitglied des Stadtsenats war. Das Haus in Kalkutta ist schwer bewacht, dennoch gelingt Shivmangal die Flucht. Einen britischen Mordbefehl im Nacken durchquert er, dessen Gesicht jeder kennt, ganz Indien. Dann durch Afghanistan und die Sowjetunion bis nach Berlin. Einer der abenteuerlichsten Fluchtwege der Weltgeschichte.
    Ich kann keinen Schlaf finden. Ich falle in den Morast meiner genetisch migrierenden Seele und fühle mich unsagbar einsam. Ich stehe auf, gehe zwei Stunden langsam auf und ab. Von der Tür zum Fenster, vom Fenster zur Tür.
    Ich kann nicht atmen, ich kann nicht länger mehr gehen, ich lege mich wieder hin. Ich sehe einen Schatten über mir, ein Monster; es hängt an der Decke, zwei Meter lang, einen Meter breit. Wie eine Höllenwolke, wie ein Schiffsrumpf. Und ich atme unter Wasser. Ich starre den Schatten an. Ich analysiere seine Form, die Kuppen bekommt, kleine Rundungen und Schlitze. Ich will ihn sehen und enttarnen. Und am Ende, es dämmert bereits im Osten, ist der Schatten ein schlapper Engel. Ich ergreife ihn, ein letztes Mal, nehme den Engel in meine Hand. Was hätte ich gegeben, wenn er gezuckt hätte, geringfügig, und wenn die Besitzerin der Engelshand noch einen einzigen, letzten Atemzug getan hätte. Wenn mir Fiala in der Gerichtsmedizin noch ein wenig mehr Zeit gegeben hätte.
    Die Sonne geht auf, und mir kommt vor, dass in jedem Augenblick etwas unendlich viel Schrecklicheres passieren kann, als ohnehin schon geschieht. Zum

Weitere Kostenlose Bücher