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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. F. Dam
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du?«, fragt Sophia und wirft mir über die Schulter einen besorgten Blick zu.
    Â»Christian«, sage ich.
    Â»Du glaubst, er hat Maggie auf dem Gewissen, hab ich recht?«

 
    Â 
    Â 
    GIBT ES DAS UNBEKANNTE NOCH? Kann einem Naturwissenschaftler wie mir dieser Gedanke behagen, oder würde er mich, falls gedacht, erschrecken – eine terra incognita des einundzwanzigsten Jahrhunderts? Wenn entdeckt, würde dieser zuvor nicht bekannte Fleck Erde real sein, oder bloß das Werk eines großen Betrügers, eines Magiers und Taschenspielers? Oder Teil irgendeines Irrsinns?
    Hat Dasgupta also diesen Ort hier gemeint?
    Es ist der dritte Tag, keiner von uns hat zur Stunde Dinge dieser Art im Sinn; wir sind alle bloß ziemlich erschöpft. Sophia ist schlechter Laune und von einer leichten Brise ganz zerzaust, als Heman auf einem Hügelkamm unversehens innehält. Als seien seine Körperflüssigkeiten von einem Augenblick auf den anderen kristallisiert.
    Die beiden Tage zuvor sind wir weiter auf den Spuren der Fust’schen Expedition gewandelt. Heman ist ein perfekter Spurenleser. Trotzdem sind wir bestimmt viel langsamer als Christian, wir sind unsicher über die Route, oft müssen wir zurück und nach Spuren Ausschau halten. Christians Vorsprung muss bereits mehr als zwei Tage betragen.
    Wir essen alle drei oder vier Stunden und waschen uns an kleinen Wasserläufen. Einmal steigen wir steil den Alirgnahs selber hinauf, bis auf 4100 Meter Höhe. Sophia kann dort oben kaum atmen, ich bin an solche Höhen gewöhnt. Blumen- und Kräuterwiesen haben uns erwartet, vollstehend mit Pflanzen, die Sophia und ich nicht kennen. Sophia legt sich ein kleines Herbarium zu, ohne darüber nachzudenken, ob das einem Mädchentraum von getrockneten Blumen oder wissenschaftlicher Neugier entspringt. Sie legt die Pflanzenteile zwischen die Blätter eines Notizbuchs, das sie immer mit sich führt, aber kaum jemals mit Aufzeichnungen füllt.
    Dann überqueren wir trockene Halden, und einmal glauben wir, eine himalayische Gemse zu sehen, einen Tahr. Ein seltener Anblick in freier Wildbahn. Es folgen steinige Kämme mit trübem Ausblick. Die Wolken formieren sich. Oben hüllen uns Nebelbänke ein und es wird sehr kalt. Und beim Abstieg fängt es erstmals an zu regnen. Wir sind nicht gut auf Regen vorbereitet. Heman und die beiden Träger werden nass und trocknen ihre Sachen abends am Feuer. Durch den Regen werden talwärts die Blutegel lästig, die hier sehr klein und schwarz sind und sich durch die Ösen der Schuhe und sogar durch manche Maschen unserer Kleidung hindurchwinden. Dann hängen sie wie Zungen auf der Haut. Die Träger werden deshalb unruhig. Heman sagt, keine Sorge, die Träger seien bloß abergläubisch und würden den Monsun in diesen Bergen fürchten.
    Gegen drei Uhr am Nachmittag des vierten Tages stocken Hemans Bewegungen an einem Hügelkamm mitten im Schritt; ungläubig stiert er den Hang hinunter, der voll mit blühenden Rhododendren steht. Schierlingstannen und ein paar Himalayalärchen recken sich zwischen ihnen in die Höhe. Letztere winken uns mit ihren langen, silbergrünen Nadeln zu.
    Â»Heman«, sagt Sophia. »Was ist? Hast du jemanden gesehen?«
    Â»Nein«, sagt er, »nein.« Er will nicht sprechen und schlägt uns eine kleine Ruhepause vor.
    Â»Die Nacht«, sagt er, »können wir dort unten verbringen.« Bei diesen Worten erschaudert er.
    Wir blicken hinab in ein kleines Tal mit steilen Wänden, das fast völlig zugewachsen ist. Einen Fluss gibt es, der aber kaum sichtbar wird, und an mehreren Stellen ist eine Stein- oder Sandbank zu erkennen. Eine große Felskanzel bedeckt einen Teil des Tals weiter hinten.
    Â»Wie heißt dieser Fluss?«, fragt Sophia.
    Keine Antwort.
    Wir setzen uns hin und trinken aus einer Plastikflasche Wasser, während Heman ein Stück den Kamm entlanggeht und die Gegend auskundschaftet. Wie immer bei einer Rast setze ich mich ein Stück weg von Sophia und beobachte sie. Sie hat eine Metamorphose durchgemacht, die mich jeden Tag mehr in Erstaunen versetzt. Elfenhaft, wenn auch müde, wandelt sie zwischen den Bäumen und Sträuchern, dann ruht sie sitzend in sich, als sei diese Umgebung, die Menschen um sie, die Berge, als sei das alles Teil von ihr selbst. Bei Maggie hat eine natürliche Arroganz eine große Rolle gespielt. Sophia dagegen

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