Die Stunde des Spielers
Eins
Es war peinlich. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal der Opfer der Tradition würde, zu der das Blättern in einer Brautzeitschrift gehörte. Ich sah mir gerade Hochzeitskleider an.
Und sie gefielen mir. Und ich wollte sie haben. All der Satin, die Seide, der Taft und der Chiffon. Weiß, Elfenbein und Creme - wie ich erfuhr, bestand nämlich ein Unterschied zwischen Weiß, Elfenbein und Creme. Ich konnte mich sogar für Rosarot oder Hellblau entscheiden, falls ich verwegen sein wollte. Dann gab es da noch die ganzen Blumen und den Schmuck. Diamanten und Silber. Wenn ich doch nur Silber tragen könnte, ohne Ausschlag zu bekommen. Okay, dann eben Gold. Gold war okay. Ich würde eine Prinzessin sein, ein Traum, schlichtweg wunderschön. Und dazu benötigte ich nichts weiter als ein Zehntausend-Dollar-Kleid.
»Ich glaube einfach nicht, dass es so viel kostet, ein paar Bilder zu machen«, murmelte Ben, der die Broschüre eines Fotografen musterte, eine von etwa einem Dutzend, das wir gesammelt hatten. Sämtliche Broschüren - für das Catering, Empfangssäle, DJs, Smokingverleihe und etliche andere Dienste, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass wir sie brauchten - stapelten sich auf dem Tisch zwischen uns, gemeinsam mit Zeitschriften und Notizblöcken voller Listen, endloser Listen von allem, was wir längst hätten entscheiden sollen. Dabei hatten wir noch nicht einmal einen Termin für unsere Hochzeit festgesetzt. Hilfsbereit hatte mich meine Mutter mit all diesen Informationen versorgt. Sie war ganz aus dem Häuschen.
Wir saßen an einem Tisch im hinteren Teil des New Moon, einer neuen Bar in der Nähe der Downtown. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir hier abseits von den meisten Gästen und dem Lärm an der Bar wären, in der sich Geschäftsleute beim After-Work-Abendessen drängelten. Der Laden war belebt, beinahe voll, und sogar hier hinten war es laut. Das war gut so, ja, geradezu fantastisch, denn Ben und ich waren die Hauptinvestoren des Restaurants.
»Hochzeitsfotos sind ein Riesengeschäft«, sagte ich, ohne von der Zeitschrift voller Brautkleider aufzusehen, die mehr kosteten, als ich in meinem Hauptberuf im Jahr verdiente.
»Es ist Halsabschneiderei. Und wenn wir meinen Freund Joe bitten? Er kann ziemlich gut mit einer Kamera umgehen.«
»Ist das nicht der Polizeifotograf beim Denver PD?«
»Na und?«
Ich schüttelte den Kopf. Meine Hochzeit würde kein Tatort sein. Jedenfalls hoffte ich das. »Meinst du, ich sollte etwas Ärmelloses tragen? So etwas?« Ich hielt die Zeitschrift hoch und zeigte ihm ein perfekt mit Airbrush bearbeitetes Model in einem weißen Haute-Couture-Kleid. Waren meine Schultern eigentlich zu knochig für ein solches Kleid?
»Was immer du möchtest.«
»Aber gefällt es dir?«
Er seufzte. »Ich finde es prima.«
»Das hast du bisher zu allen Kleidern gesagt.«
»Ich werde keine Augen für das Kleid haben. Sondern nur für dich.«
Und das war einer der Gründe, weswegen ich Ben nie wieder hergeben würde. Mein Blick verschleierte sich ein wenig. Er war vierunddreißig Jahre alt, ein Anwalt mit eigener Kanzlei, und mit Ecken und Kanten, weil ihm sein Aussehen meist egal war. Das verlieh ihm beinahe etwas Rebellisch-Attraktives. Seine zerzausten braunen Haare benötigten dringend einen Schnitt, sein Hemdkragen stand offen, und sein Jackett und die Krawatte befanden sich gewöhnlich in seinem Wagen. Außerdem hatte er ein Lächeln zum Dahinschmelzen. Und es strahlte mich in diesem Augenblick an.
Er hatte mir erst vor einem Monat einen Heiratsantrag gemacht, und wir befanden uns noch im ersten Rausch. Wieder einmal stellte ich verblüfft fest, wie bereitwillig ich in ein stereotypes Muster verfallen war. Eigentlich galt ich nämlich als cool und zynisch.
Vielleicht hätten wir den ganzen Abend dort gesessen und einander verliebt angestarrt, wenn Shaun nicht an unseren Tisch getänzelt wäre und uns unterbrochen hätte. »Hey, braucht ihr was? Mehr Soda? Wasser?«
Shaun, Ende zwanzig, dunkle Haut und schwarze Haare, gleichzeitig hip und dennoch vollkommen normal, leitete das New Moon. Er hatte sich auf die Aufgabe gestürzt und kümmerte sich um alles, vom Anheuern des Personals bis hin zur Zusammenstellung der Speisekarte. Außerdem war er ein Werwolf. Ja, an diesem Abend zählte ich hier sechs weitere Werwölfe, alle Teil unseres - Bens und meines - Rudels. Es würde eine Werwolfhochzeit werden. Das Ganze wirkte wie eine reine Formalität, da wir uns dank
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