Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
… »Wenn er fort ist, können wir gehen.«
»Ich … ich wohne in Southwark. Das ist sehr weit zu laufen«, gab Penelope zu bedenken. »Ihr solltet mit der Kutsche –«
»Nein, mit der Kutsche fährt mein Vater ins Theater.« Lady Rose fand kein Taschentuch, und so wischte sie sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. »Ach, Mädchen, wie schrecklich ist das alles nur …« Ihre nasse Hand sank in den Schoß. »Wie weit ist es zu laufen?«
Penelope seufzte. Die Lady war gewiss noch nie eineStunde über Londons hartes Kopfsteinpflaster gelaufen und durch die schmutzigen Gassen der Armenviertel erst recht nicht … Vermutlich hatte sie nicht einmal einen Umhang, der dunkel genug war, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Die Londoner Nacht spie überall Gestalten aus, die einer wohlgenährten und ganz offenbar reichen Frau gefährlich werden konnten!
Doch schließlich besaß Penelope nicht den Mut, sich dem Wunsch der Lady zu verweigern. Zu groß war ihre Angst, die neue, liebgewonnene Heimat im Haus 28 zu verlieren.
»Kommst du endlich – und wen hast du bei dir?« Mary musterte ihre Tochter und den Besuch im dunklen Umhang, der ihr folgte. Den ganzen Nachmittag schon hatte sie Vorahnungen gehabt, hatte in der Stube mehr Kerzen als gewöhnlich entzündet, um die Düsternis zu vertreiben – doch die hatte sich nicht vertreiben lassen. Da hatte sie gewusst, dass etwas geschehen würde und dass es mit ihrer Tochter zu tun haben würde. Sie war unruhig in der Stube hin und her gelaufen und hatte Selbstgespräche geführt.
»Dummes Ding«, hatte sie geflüstert, »warum muss ich mir Sorgen machen? Warum bist du nicht wie andere Mädchen? Gehst deiner Arbeit nach, findest bald einen Kerl, der dir Kinder macht und dich füttert, führst ein normales Leben? Warum muss ich mir Sorgen machen, wenn ich auf dich warte?« Die eine Kerze war über dem Lamento verloschen, und Mary hatte nachdenklich innegehalten. Die Ahnungen wollten sich nicht vertreiben lassen, und so hatte sie sich schließlich an den Tisch gesetzt und einfach nur im Halbdunkel gewartet. Es wollte sich keine Erleichterung einstellen, als die beiden wie Freundinnen aneinandergedrücktin die Wohnung drängten. Penelope brachte niemals Freundinnen mit nach Hause. Die dicke Frau war keine Freundin.
Mary MacFadden war von kleiner, sehniger Statur, doch die Winde des Lebens hatten es bisher nicht geschafft, sie hinwegzufegen. In ihrem Gewerbe war sie durch das Schicksal gelandet, ausgesucht hatte sie sich das nicht. Wer in ihrem Gewerbe zauderte, konnte nicht lange überleben. Jetzt wollte ihr zum ersten Mal der Mut versagen. Ahnungen ergriffen sie. »Schau hin!«, flüsterten sie. »Schau genau hin!«
Sie riss sich zusammen und baute sich vor der dunklen Gestalt auf, ohne Anstalten zu machen, ihr den Umhang abzunehmen. Die Frau verströmte jenen süßen Duft von Reichtum und Nichtstun, das allein sollte ihr Warnung genug sein. Es war ein Fehler, sie hereinzulassen. Aber nun war sie einmal hier, daher sprach Mary die Worte, die sie zu jeder Besucherin sagte: »Ich stelle keine Fragen. Und Sie vergessen, wo Sie gewesen sind.«
Als Antwort drang ein Schniefen unter der Kapuze hervor. Dann fiel der schwere Stoff von den Haaren, und Mary fühlte die Farbe aus ihrem Gesicht entweichen, als sie erkannte, wer da vor ihr stand.
»Das … das ist nicht dein Ernst«, flüsterte sie und schaute ihre Tochter an. Die Zimmerwände schienen sich ihr zu nähern, sie rang nach Luft. Gütiger Himmel! Noch war es Zeit, umzukehren. Sie musste umkehren. Sie musste die Frau wegschicken, bevor die den Umhang abgelegt hatte. Für einen kurzen Moment flog Stille durch die kleine Wohnung. Ihr kühler Flügelschlag berührte die Wangen auf unangenehme Weise. Wie so oft setzte sie sich auf den Kaminsims und betrachtete die drei Menschen. Diesmal tat sie es mit großer Traurigkeit.
»Ich konnte – Mutter ich musste einfach …« Penelopes hilfloses Flüstern ging im Rascheln des Kutscherumhangs unter. Der Umhang fiel …
»Ich zahle, Frau. Ich bezahle dich gut«, sagte die Lady vom Sloane Square und nestelte nach ihrer Geldbörse. »Schau, hier, das soll alles dir gehören. Es ist sicher weitaus mehr, als arme Weiber dir zahlen.« Münzen und zierlich gefaltete Scheine fielen aus ihrer zitternden Hand zu Boden. Wie Engelchen lagen sie vor Marys Füßen, wo sie im Kerzenlicht hell schimmerten. Sie würden die Miete übernehmen, einen Mantelstoff bezahlen, ein
Weitere Kostenlose Bücher