Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
Ketten nicht zu. Von den Frauen neben sich hörte sie nur ein Stöhnen oder ein leises Wimmern. Die meisten waren in eine Starre gefallen, so wie sie damals auf dem Kahn der Hoffnungslosigkeit, als man sie das erste Mal in Ketten gelegt hatte. Da Penelope das Gefühl schon kannte, wusste sie, wie man sich vor der Verzweiflung versteckte, um Kraft zu sparen. Die Kerze in der Laterne war längst ausgebrannt. Niemand hatte sie ersetzt.
Hell wurde es nur, wenn sich oben die Luke öffnete. Dann polterten zwei Kerle mit bleckenden Laternen die Stiege herunter, zwischen sich einen Kessel, und in einem Sack über der Schulter des einen klapperten Holznäpfe. Die Essensausgabe erfolgte so schnell, dass manche Frauen kaum aus ihrem Dämmerschlaf erwachten und nichts abbekamen.
»Eine von uns muss Wache stehen«, schlug Carrie daher vor.
»Wie soll das gehen?«, murrte die dicke Waliserin, die man kaum verstand, weil die Aufseher ihr auf dem Kahn den Kiefer krumm geschlagen hatten. »Willst du etwa wachbleiben? Viel Spaß, du Angeberin!«
»Wir wechseln uns ab«, unterbrach Carrie sie ärgerlich, »und wenn sie kommen, wecken wir uns gegenseitig. Oder wollt ihr verhungern? Das werden wir nämlich, wenn wir uns nichts einfallen lassen!«
Nein, verhungern wollte keine, da pflichteten ihr alle bei … Und so gab es bei der nächsten Essensausgabe denNachbartritt, wie Carrie ihn nannte – eine jede trat mit dem Fuß nach rechts und links, damit niemand vergessen wurde und jede von ihnen wach war, wenn die Männer mit dem Essen kamen.
Die Luke öffnete sich. Zwei Männer schleppten den Kessel die schmale Stiege hinab und schleiften ihn an den Reihen der Gefesselten vorbei. Es war eine Kunst, trotz der Ketten den Napf aufzufangen und so zu halten, dass der Brei nicht danebenging, wenn die beiden ihn verteilten. Diesmal war Penelope zu langsam gewesen, und der heiße Haferbrei rann zwischen ihre Beine auf den Boden.
»Heee!«, entfuhr es ihr ärgerlich, dann verstummte sie abrupt, denn die Kerle setzten ihren Kessel ab und kamen mit der Laterne näher.
»Gibt’s Probleme?«, fragte der eine.
»Schmeckt’s dir etwa nicht?«, fragte der andere barsch.
»Brauchst du Salz?«
»Oder vielleicht etwas Pfeffer in deinen Arsch?« Der Zweite kicherte.
Penelope konnte keinen von beiden wirklich erkennen, weil die Laterne sie blendete.
»Na komm, iss schon, Nachschlag gibt’s keinen. Jedenfalls nicht für so magere Krähen wie dich«, feixte der mit der Suppenkelle und schwang sie durch die Luft. Penelope konnte ihr gerade noch ausweichen.
»Vielleicht will sie, dass wir ihr beim Ablecken helfen.«
»Ha!«, schrie der Laternenkerl auf. »Da warte ich doch lieber auf ’ne saubere Hure in Kapstadt!«
»Lass das Mädchen in Ruhe«, brummte Jenny da. »Sie kann doch nix dafür –«
Die Suppenkelle pfiff erneut durch die Luft und traf Jenny am Kopf. Penelope lag regungslos da. Sie wagte erst, sichwieder zu bewegen, als die Luke geschlossen war und die gewohnte Dunkelheit sie umgab.
Niemand sagte etwas, man hörte nur das Schmatzen und Schlecken der anderen, die versuchten, ihre Näpfe ohne Löffel so gründlich und so schnell wie möglich zu leeren. Penelope kämpfte gegen die aufkommenden Tränen. Mehr als das, was an ihren Beinen klebengeblieben war, gab es für sie an diesem Tag nicht. Ihre Scham darüber, dass sie erst die Essensreste aufsammelte, bevor sie zu Jenny hinüberrutschte, hielt sie die ganze Nacht über wach …
Ihr Unwohlsein nahm in den nächsten Tagen zu.
Sie stierte vor sich hin. Das Schiff bewegte sich immer mehr unter ihr, als ob es zum Leben erwachte. Wasser klatschte rhythmisch an die Bordwand. Sie drehte sich, soweit die Ketten es erlaubten, und spähte durch eine Ritze und erkannte, was sie soeben verlor: England entfernte sich bei schönstem Wetter. Die Kreideküste von Dover, die sie nur von Bildern kannte, leuchtete wie ein Abschiedsgruß in der Morgensonne. Erinnerungen umfingen Penelope: die Häuser von Southwark, die kleine Stube, ihre Häkelnadel, das braune Lieblingskleid, Sirupkuchen an Weihnachten, Lavendelkissen und weißer Taft auf einem Sofa, rosafarbene Blütenblätter an einem blattlosen tiefroten Ast – Blüten, deren Duft verblasste, je weiter sie sich von ihnen entfernte.
Das Schiff pflügte durch die Wellen und begann jenen Tanz, für den der Mensch einfach nicht gemacht war. Alle unter Deck kotzten grüne Galle, waren Gefangene der Seekrankheit, die ihnen den letzten Rest an
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