Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
seiner Pistole zu trennen – sie waren schneller gewesen, aber nicht gründlich genug.
Penelope presste die Lippen zusammen. Heynes war nicht tot. Er lag auf seinem Seidensofa ausgestreckt. Blut hatte das Nachthemd dunkel gefärbt und tropfte auf den Boden, rot und zäh. In seiner Rechten hielt er einen abgebrochenen Speer, den er sich selber aus der Brust gezogen haben musste. Die Hand mit dem Speer fuhr unruhig hin und her, und auch seine Lippen bewegten sich stumm.
»Jesus und Maria.« Ann blieb stehen.
Nun hatte er sie entdeckt und drehte vorsichtig den Kopf. Seine Atemzüge klangen ein wenig fiepend, als würden sie gleich verlöschen.
»Komm her –« Die Stimme war kaum zu hören. Ihren gebieterischen Ton hatte sie trotzdem nicht verloren. »Wo kommst – wo kommst du um diese Zeit her – was – was hast du getrieben, Schlampe!« Er keuchte, rang nach Luft. Der nahe Tod ließ ihn wählen zwischen einem Fluch und einer letzten Bitte. »Hast deinen Arsch anderen hingehalten, was … Hilf mir, Schlampe!«
Sie tat einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen. Heynes streckte den Arm nach ihr aus, und statt ihre Hand zu ergreifen, fuhr er mit seiner Hand zielsicher zwischen ihre Beine und drückte zu. Ann schrie auf.
Noch bevor Penelope ihr zur Hilfe eilen konnte, hatte Ann Heynes den Speer aus der Rechten gerissen und ihn mit ganzer Kraft in seinen Hals gestoßen.
»Du nennst mich nie wieder Schlampe.«
Dann war es still. Nur Fliegen summten durch die Nacht, und draußen rauschte der Eukalyptus sein Lied der Ewigkeit.
»Und … jetzt …?« Unendliche Kraft kosteten Penelope diese zwei Worte.
Ann trat vom Sofa zurück und gab den Blick auf den Toten frei. Er sah nicht viel anders aus als vorher. Blut rann aus seinem Hals auf die helle Seide. Die ersten Fliegen summten um den Leichnam. Penelope hatte erwartet, dass der Anblick mehr Entsetzen in ihr auslösen würde. Doch da war nichts. Heynes’ Haus schwieg. Der Wald schwieg. Die Nacht wartete stumm.
»Was … tun wir jetzt?«, fragte sie in die kalte Stille hinein.
Ann rieb sich fröstelnd die nackten Unterarme. Ihr Blick glitt unruhig umher, wanderte über die Leiche, das Sofa, die geplünderten Truhen.
»Wir müssen weg hier, Ann«, machte Penelope einen weiteren Versuch, ihre Freundin zum Reden zu bringen.
»Schwarze«, murmelte Ann. »Schwarze waren das hier. Schwarze Mörder. Vielleicht kommen sie zurück.« Ihre Stimme wurde schriller. »Vielleicht wollen sie mehr Rum. Ich hab ihnen immer welchen gegeben, damit sie uns verschonen. Heynes wusste davon nichts, ich hab das Fass mit Wasser aufgefüllt, damit er’s nicht merkt. Vielleicht kommen sie, um Rum zu holen …«
Sie tat einen Schritt auf Heynes zu. Dann bückte sie sich und wälzte den Mann zur Seite. »Schau, sie haben was vergessen. Sicher wollen sie das wiederhaben.« Sie zog unter ihm ein ovales Holzstück hervor. »Woomera nennen sie das. Man kann damit Speere weit schleudern. Man kann auch …« Sie vollendete den Satz nicht, es war offensichtlich, wozu die Waffe mit ihrer scharfen Kante noch taugte. »Das werden wir gut brauchen können.«
»Du darfst das nicht nehmen, Ann!«
»Sollen wir uns etwa auch abschlachten lassen?«, gab Ann ungehalten zurück. »Das hier waren Schwarze – schwarze Mörder. Sie werden auch uns abschlachten, wirst sehen!!« Zu Penelopes Entsetzen tauchte sie mit dem Zipfel ihres Rockes in Heynes’ Blutlache und tupfte von dem Blut großzügig auf die Klinge. »So. So wird man uns glauben, dass wir uns wehren können. Es ist gefährlich, alleine im Busch –«
»Busch! Du willst in den Busch – bist du wahnsinnig?« Penelope traute ihren Ohren nicht. Was trieb die Freundin in diesen Wahnsinn?
»Ja, was denkst du denn? Ich bleibe ganz sicher nicht hier und lass mich vor Gericht stellen in diesem verfluchten Parramatta, wo jeder jeden kennt und alle sich gegenseitigbeschützen! Wo jeder weiß, wer ich bin.« Sie stockte. Tränen rannen über ihr bleiches Gesicht, und Penelope verstand, dass die vornehmen Herren von Parramatta nicht nur in Heynes’ Küche zu Gast gewesen waren.
»Dann lass uns nicht nach Parramatta gehen. Lass uns nach Sydney gehen«, versuchte sie erneut ihr Glück. Allein das Wort »Busch« jagte ihr schon kalte Schauder über den Rücken. Der Tod wohnt im Busch, pflegte Joshua zu sagen. Und das Problem sei, dass man sein Gesicht erst erkenne, wenn es zu spät sei. Sydney – das klang gut. Dort würde man jemandem erzählen
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