Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
Penny.« Ann ließ Heynes’ Pferd antraben. Zu spät kam Penelope auf die Idee, dass man die Leute im Laden nach Stephen Finch hätte fragen können, dem Mann, der ihr Vater sein sollte. Beim nächsten Mal, beruhigte sie sich. Das nächste Mal würde sie es nicht vergessen.
Ein wenig müde, aber glücklich saßen sie auf dem Kutschbock, als die Sonne unterging und den roten Sand hinter dem Eukalyptuswald in feuriges Licht tauchte. Die Felsen begannen zu leuchten, und irgendwo meinte Penelope, schwarze Männer zu erkennen, wie sie in die Felsen hineinstiegen. Überall sah sie diese Schatten, vor denen alle warnten und über die schreckliche Geschichten im Umlauf waren. Sie wusste, dass die Geschichten Unsinn waren. Joshuas schwarzer Freund Apari verhielt sich zwar merkwürdig, doch hatte er ihr nie etwas zuleide getan. Die meisten Leute fanden vor allem ihre Nacktheit skandalös. Vermutlich hatten sie vergessen, dass ihnen auf den Schiffen einmal selber die Kleider vom Leib gefault waren.
»Findest du die Schwarzen unheimlich?«, fragte Penelope.
»Bisher waren sie immer freundlich. Aber sie stehlen wie die Raben.« Ann zügelte das Pferd, das Stallluft witterte und unaufgefordert angaloppiert war. »Heynes vertreibt sie, weil sie stehlen. Uns haben sie Ziegen gestohlen.«
Penelope hatte davon gehört. Joshua erzählte manchmal von kleineren Diebstählen. Seine Freundschaft mit dem schwarzen Mann ließ ihn diese Diebstähle jedoch tolerieren, und er dachte sich für den Reverend Ausreden aus, die das Fehlen eines Lammes erklärten. Vielleicht schob er es ihnen auch heimlich zu. Sie mochte nicht daran denken, zu wie vielen Streichen der Priester ihn verurteilen lassen würde, wenn das ans Tageslicht käme. Der Schafhirte hatte einmal gesagt, er schaue lieber Marsdens neunschwänziger Katze ins Gesicht, als von den Schwarzen im Schlaf erstochen zu werden. Dass sie die einsam gelegenen Zelte der Hirten gern überfielen, hörte man immer wieder, und Joshua sorgte nur für seine eigene Sicherheit. Penelope misstraute den Schwarzen. Splitternackte Menschen, die auf ordentlich gekleidete Menschen herabblickten, weil sie für andere arbeiteten, machten ihr ebenso Angst wie diese merkwürdigen Hüpftiere, Kängurus genannt, die sie für Fleisch und Fell jagten. Aber die Schwarzen waren schlimmer.
»Findest du sie nicht unheimlich?«, fragte sie ungläubig. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie zwischen den undurchdringlichen Büschen der Parramatta-Uferregion hindurchzuspähen. Vom Rattern der Kutschenräder flogen Papageien auf und kreischten. Ihr Gekecker hatte etwas Unheimliches. Gänsehaut kroch ihren Rücken hoch. Vielleicht hätte sie in der Hitze nicht so viel Rum trinken sollen.
»Ich finde, sie sollten uns Platz machen«, meinte Ann.»Sie haben aus ihrem Land nichts gemacht. Schau dich doch mal um. Überall nur Wildnis, keine Höfe, keine Häuser, keine Geschäfte. Nichts als Sand und vertrocknetes Gras und dazwischen diese nackten Wilden, die sich mit einer Handvoll Raupen zu Mittag zufriedengeben.« Sie kicherte. »Heynes sagt, dass sie Raupen fressen. Roh. Aber nun sind wir Engländer ja hier, und wir machen was aus ihrem Land. Die sollen doch froh sein!«
Penelope schwieg. Die Schwarzen waren anders, hatte Joshua ihr erklärt. Sie gaben nichts auf Besitz, und möglicherweise war ihnen das, was Ann für erstrebenswert hielt, völlig gleichgültig. Noch ein Grund mehr, sie zu fürchten. Penelope dachte lieber an die weißen Menschen, die sie an diesem Tag getroffen hatte. Mrs. MacArthur mit den mutigen Augen.
»Ob Mrs. MacArthur mir helfen würde, mein Kind zu suchen?« Ihre Frage zerschnitt die Dunkelheit.
Ann brauchte ein wenig Zeit für ihre Antwort. »Wenn du sie fragen würdest, würde sie das vielleicht tun. Aber ein Kind kann man nur im Waisenhaus suchen, und dafür müssen wir nach Sydney.«
Sydney – in Sydney würde sie Lily finden, wenn sie noch lebte. Und vielleicht die Mutter. Und Stephen Finch … Man braucht ein Ziel im Leben, hatte der deutsche Doktor gesagt. Penelope hatte ihr Ziel wiedergefunden. Sie musste nach Sydney gehen und nach ihrer Familie suchen. Das Pferd schnaubte. Nur noch eine Meile am Fluss entlang, dann waren sie endlich zu Hause.
»Wie lange man wohl nach Sydney fährt?«
»Ich kenne den Weg.« Ann lächelte. Ihre Augen blitzten wie ein Versprechen im Halbdunkel auf. Mehr sagte sie nicht, und ihr Versprechen war wie ein Spitzendeckchenaus Worten – es gehörte
Weitere Kostenlose Bücher