Der Duft der Pfirsichblüte: Eine Australien-Saga (German Edition)
können, was geschehen war. Irgendwie würde man etwas erzählen können, auf dem langen Weg würde ihnen etwas einfallen.
Ann hörte gar nicht zu. Mit stierem Blick auf ihren toten Herrn murmelte sie weiter: »Denkst du im Ernst, man schenkt einer Frau wie mir Glauben, wenn ein reicher Siedler ermordet worden ist? Wo jeder weiß, wie er mich behandelt hat? Denkst du, irgendwer wird mir glauben, wenn ich sage, dass ich die Schwarzen gesehen habe?«
Blut war über Anns Spitzendeckchen gelaufen und hatte das Märchenschloss, das sie sich mühsam errichtet hatte, besudelt und zerstört. Es zerfiel vor ihren Augen, dahinter tauchten die Ketten auf, die sie vom Schiff hierherbegleitet hatten. Ketten, die sie in rosafarbene Spitze eingewickelt hatte, damit sie besser in ihr neues Leben passten. Man kann Ketten nicht in Spitze einwickeln. Sie reißen Löcher in das zarte Gewebe.
»Niemand wird ernsthaft glauben, dass du drei Männer getötet hast!«, versuchte Penelope einzuwenden. Doch wie schal klangen ihre Worte. Und gelogen waren sie auch. Einen Menschen hatte Ann getötet – einen, dem sie hätte helfen können.
»Und warum liege ich dann nicht neben ihnen?«, knurrte Ann. »Mit aufgeschlitzter Kehle? Warum fehlen alle Messer, warum sind die Truhen geplündert? Wer wird mir glauben?« Heftig schüttelte sie den Kopf. »Sie werden sagen, dass ich mit den Schwarzen gemeinsame Sache gemacht habe, dass ich sie bezahlt habe für das hier. Du weißt genau, was sie über uns denken. Du hörst den Reverend doch auch jeden Sonntag. Wir sind schlecht, böse, wir haben nichts als Übles im Sinn – wir schlechten Weiber, wir Sträflingsweiber, fahren am besten gleich zur Hölle.« Als sie verstummte, gab es nichts, was die Verbitterung fortwaschen konnte.
»Lass uns nach Sydney gehen«, schlug Penelope erneut vor. Sie hätte noch ganz andere Dinge vorgeschlagen, um diesen schrecklichen Ort verlassen zu können. Doch Ann schien es nicht eilig zu haben. »In Sydney kennt dich niemand –«
»Sydney.« Ann lachte auf. »Ohne Passierschein werden sie uns aufgreifen, und dann landen wir erst recht im Gefängnis. Und sie haben einen echten Grund, uns zu verurteilen.«
Penelope starrte Ann fassungslos an. Hatte sie bereits vergessen, was vorhin geschehen war? Dass sie nun annahm, wegen eines fehlenden Passierscheins verhaftet zu werden? Ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. Sie begann, sich vor Ann zu fürchten. Es kostete Kraft, sich das nicht anmerken zu lassen, darüber hinwegzuschauen, wie Ann über den Toten hinwegschaute. Doch die Monate in Ketten hatten Penelope genug gelehrt.
»Lass es uns versuchen«, fuhr sie fort. »In Sydney gibt es einen Richter – zu dem werden wir gehen und … und … ach, was auch immer, Joshua hat von einem erzählt, derseinen Herrn verklagt hat, weil er ihm kein Bettzeug gegeben hat. Der Mann hat Recht bekommen, dabei war er in England zu vierzehn Jahren verurteilt worden. Joshua sagt immer, wir sind keine Sklaven. Ein paar Rechte haben wir.« Sie nahm der Freundin die Waffe aus der Hand und umarmte sie. »Lass es uns versuchen. Wir gehen zusammen nach Sydney.«
Ihre Idee war töricht – eine Reise ohne Passierschein, den jeder Sträfling vorweisen musste, sobald er sich auch nur einen Steinwurf vom Haus seines Dienstherrn entfernte. Ohne Begleitung durch die Sümpfe und ohne dass sie wirklich den Weg kannten, weil sie seinerzeit mit dem Kahn nach Parramatta gekommen waren. Das Haus des Richters aufzusuchen war vermutlich der törichteste Gedanke von allen, aber er setzte sie beide in Bewegung.
Eine nie gekannte Zielstrebigkeit hatte Besitz von Penelope ergriffen. Vielleicht war sie über Anns furchtbare Tat und Heynes’ Blut, das sie so unberührt gelassen hatte, erwachsen geworden. Vielleicht hatte auch die kalte Verzweiflung des einzigen Menschen, der ihr noch etwas bedeutete, damit zu tun. Anns Furcht, am Galgen zu landen, war durchaus berechtigt. Schwache Menschen frisst das Leben. Penelope wollte nicht mehr schwach sein, und sie wollte niemanden mehr verlieren.
Mit einer Ruhe, von der Penelope gar nicht wusste, dass sie sie besaß, holte sie zwei Decken aus dem Hochbett, befüllte zwei Schläuche mit Wasser und suchte im Durcheinander der Kochstelle nach Nahrungsmitteln. Die Schwarzen waren gründlich gewesen und hatten sogar Essensreste aus dem Schweineeimer mitgenommen. Ann raffte sich schließlich auf, ihr zu helfen. Die Streifen Trockenfleischin der dunklen Ecke über dem
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