Der Duke, der mich verführte
sie. „Was soll das bedeuten? Ist das der Grund, weshalb Henri und die anderen Diener wie die Wilden herumrennen und packen?“
Radcliff räusperte sich und strich sich einige Male über sein Krawattentuch. „Es hätte eigentlich eine Überraschung sein sollen, aber ich …“ Er räusperte sich erneut, ließ endlich von seiner Krawatte und erwiderte Justines Blick. Dann schwieg er eine Weile und lächelte. Was sollte er nur sagen? „Ich bin nicht besonders gut in derlei Dingen“, meinte er schließlich und deutete auf den Brief, drückte ihn ihr mit neuerlichem Nachdruck in die Hand. „Hier, bitte. Deine Eltern warten draußen in der Kutsche, um dich mit nach Afrika zu nehmen.“
„Was? Aber warum denn? Ich will nicht …“
„Stell jetzt keine Fragen, Justine. Vertrau mir und freu dich einfach an dieser unerwarteten Reise. Henri wird dir bei den Vorbereitungen zur Hand gehen. Dir bleiben nur noch zwanzig Minuten, also nutz deine Zeit weise.“
„Zwanzig Minuten?“ Justine riss ihm den Brief aus der Hand und musterte Radcliff, als hätte er den Verstand verloren. „In zwanzig Minuten schaffe ich es nicht mal, einen Hut aufzusetzen, ganz zu schweigen davon, mich auf eine Reise nach Südafrika vorzubereiten! Außerdem bricht Matilda morgen nach Edinburgh auf. Ich wollte ihr und der Kleinen doch noch Lebewohl sagen!“
Er streckte beide Hände nach ihr aus und streichelte besänftigend ihre Arme. Sie seidenen Puffärmel ihres Kleides raschelten leise. „Ich werde mich darum kümmern“, versprach er. „Nach allem, was du für sie und das Kind getan hast, wird Matilda dir sicher nicht böse sein. Ich hoffe, du vertraust mir, dass ich mir während deiner Abwesenheit weder bei ihr noch sonst irgendjemandem Freiheiten erlauben werde. Ich bin dein, Justine – dein allein. Nicht einmal meine Obsession kann daran etwas ändern.“
Irritiert runzelte sie die Stirn. Sie verstand kein Wort und hatte nicht den leisesten Schimmer, was hier eigentlich vor sich ging. „Ich begreife das nicht, Radcliff. Weshalb soll ich nach Afrika reisen? Und warum kommst du nicht …“
„Ich habe diese Reise vor drei Wochen geplant“, unterbrach er sie rasch. „Es sollte eine Überraschung sein. Dann kam diese leidige Angelegenheit mit Carlton und Matilda dazwischen, doch schien es mir schade zu sein, nun alles abzublasen. Du hast dir einen schönen Urlaub mit deinen Eltern verdient. Und jetzt geh. Sie warten draußen auf dich. Ich komme gleich nach, um dich zu verabschieden. Versprochen.“
Der Gedanke an Kapstadt ließ ihr das Herz freudig schlagen. Zurück nach Afrika, zu einem einfachen Leben fernab des ton! Es war das Paradies auf Erden – endlose Weite, endlos blauer Himmel, Sonne und keine Regeln außer den Gesetzen der Natur. Oh, wie sie dieses Leben vermisst hatte! Und nun war es auf einmal wieder in Reichweite. In fünfzehn Minuten!
Aber der Gedanke, Radcliff auch nur einen Tag allein zu lassen, wollte ihr gar nicht behagen. „Das ist wunderbar, Radcliff. Und ich weiß kaum, wie ich dir danken soll. Aber wie wäre es, wenn wir die Sache etwas anders angehen? Warum reisen meine Eltern nicht einfach schon voraus? Ich könnte hier in Ruhe packen und morgen noch Matilda und die kleine Justine verabschieden. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber ich habe vor, Matilda hundert Pfund mit auf den Weg zu geben, damit sie für die erste Zeit gerüstet ist.“
Sie lehnte sich vor und stupste ihn lächelnd an die Brust. „Und wenn sie fort ist, hast du mich ganz für dich allein. Und dann, wenn auch du so weit bist, können wir beide nach Kapstadt reisen. Zusammen.“
Er seufzte tief und streichelte ihre Wange. „So verlockend dein Plan auch klingt, gibt es doch gerade einiges hier in London, worum ich mich kümmern muss. Ich werde Carlton alle Bezüge und Ansprüche streichen, was eine sehr unschöne und langwierige Angelegenheit werden dürfte. Es wäre mir lieber, wenn du währenddessen nicht zugegen bist. Sowie ich die Zeit finde, komme ich nach. Und gelobe dir, dass Matilda ihre hundert Pfund bekommt. Vor allem aber möchte ich, dass du deine Zeit in Afrika, die Zeit mit deinen Eltern, genießt und dir keine Sorgen machst. Tu mir den Gefallen. Bitte. Tu es für mich. Für uns.“
Sie blinzelte, blinzelte noch einmal, und so langsam begriff sie, was er da sagte. Es war unglaublich. Er bot ihr an, nach Kapstadt zu reisen, einfach so. In fünfzehn Minuten! Zum Teufel mit London, all den grässlichen Gerüchten und
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