Der Duke, der mich verführte
schon auf dem Weg zur Tür. Als sie einen letzten Blick auf Henri warf, wiegte der noch immer das Kind in den Armen und betrachtete es mit einem so verzückten Lächeln, als wäre es sein eigenes. „ Enchanté, Mademoiselle“, gurrte er und lockerte die straff gewickelten Leinentücher ein wenig, als die kleine Justine im Schlaf das Gesicht zu verziehen begann. „Nein, nicht weinen, meine Kleine. Deine Mama schläft jetzt. Und du solltest auch schön schlafen.“
Justine musste sich ein erschöpftes Lachen verkneifen, huschte rasch hinaus und schloss die Tür leise hinter sich. Vielleicht sollte sie Henri doch behalten – auch dann, wenn wieder weibliche Bedienstete im Haus wären. Eine bessere Kammerdienerin als ihn konnte sie sich kaum wünschen.
Justine ging zu Radcliff hinüber, der im schwachen Kerzenschein schlafend auf dem Boden lag, und ließ sich neben ihn sinken. „Unglaublich“, meinte sie. „Was alles an einem Tag passieren kann.“
Radcliff wachte auf und fuhr mit einem Ruck empor, doch Justine zog ihn wieder zu sich herab und schlang die Arme um seine breiten Schultern. Bei der kleinen Anstrengung schmerzte ihr alles. Sie schmiegte sich an ihn. „Aber jetzt ist alles gut. Matilda und das Baby sind wohlauf. Nur das ist von Bedeutung.“
„Komm“, sagte er. „Jetzt, da das Kind da ist, müssen wir uns um dich kümmern. Ich lasse dir ein Bad bereiten, und dann ruhst du dich aus.“ Radcliff sprang auf, beugte sich über sie und hob sie hoch.
Als er die Verletzungen an ihren Armen und am Rücken berührte, zuckte sie vor Schmerz zusammen, blieb jedoch tapfer. Die Arme um ihn geschlungen, ließ sie sich von ihm in sein Zimmer tragen. Sie musste an alles denken, was in den letzten Stunden geschehen war. Wie rührend, dass er hier ausgeharrt hatte. Wenn das nicht Liebe war, wenn er sie nicht liebte, dann wusste sie wahrlich nicht, was Liebe war.
21. Skandal
Respektieren Sie stets die Wünsche anderer, auch wenn diese Wünsche Ihnen nicht unbedingt den gewünschten Respekt entgegenbringen.
aus: Wie man einen Skandal vermeidet
Zehn Tage später, am Morgen
R adcliff drehte einen ungeschliffenen, purpurroten Amethyst zwischen den Fingern, spürte, wie die scharfen Kanten in seine Fingerkuppen schnitten. Er hielt den Amethyst in das Licht, das durch das Fenster in das Zimmer fiel. Helles Sonnenlicht brach sich in dem durchscheinenden Kristall und warf feine weiß-violette Prismen auf Radcliffs schwarzen Rock, die gestreifte Weste und seine graue Hose.
Er lehnte sich in die Lederpolster seines Stuhls zurück, streckte die Beine unter dem Mahagonischreibtisch aus und wusste, dass er den perfekten Stein für das Geschmeide gefunden hatte, das er Justine anfertigen lassen wollte.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf, und das Herz pochte ihm bei dem Gedanken, es könne Justine sein. Während der letzten paar Tage hatte er sie kaum zu Gesicht bekommen, denn sie hatte fast jede Minute bei Matilda und dem Baby verbracht.
„Justine?“, rief er. „Bist du das?“
Die Türflügel taten sich auf, und Jefferson tauchte auf. Er räusperte sich. „Verzeihen Sie die Störung, Euer Gnaden. Sind Sie zugegen? Lord und Lady Marwood bitten um Entschuldigung, zu so früher Stunde zu erscheinen, aber sie wünschen Sie zu sprechen und bitten zudem darum, die Duchess nicht zu behelligen, da sie allein mit Ihnen reden wollen.“
Radcliff schloss die Hand um den Amethyst. Justine hatte ihren Eltern auf sein Drängen hin einen ausführlichen Brief geschrieben, um zu erklären, was Gerüchte niemals zu klären vermochten. Doch die beiden hatten wider Erwarten nicht geantwortet, und Radcliff konnte sich nicht des Gefühls erwehren, dass ihr Schweigen nur die Ruhe vor dem Sturm war, der gewaltig, wenn nicht gar vernichtend werden dürfte. „Ich bin zugegen, Jefferson. Ich werde sie hier empfangen.“
„Jawohl, Euer Gnaden.“
Radcliff beugte sich über die auf seinem Schreibtisch verstreuten Schmuckstücke in kleinen Schachteln, die sein Juwelier ihm gestern zur Ansicht hatte liefern lassen. Er warf den Amethyst in sein Bett aus rotem Samt, schob seinen Stuhl zurück und erhob sich.
Er trat hinter dem Schreibtisch hervor und in die Mitte des Raums, wo er seine Besucher erwarten wollte. Als sein Blick auf die überaus leere Stelle über dem Kamin fiel, musste er lächeln. Wie gut zu wissen, dass Justine seine Mutter ebenso wenig mochte wie er. Und noch besser, dass jetzt eine neue
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