Der dunkle Fluss
Faith lag eine Zeitung. Das Foto seines Sohnes war auf Seite eins.
Die Story von seiner Ermordung. Jamie kam herein. »Sieh dich in den anderen Räumen um«, sagte ich. Er brauchte nicht lange. »Nichts«, sagte er. »Nur ein Haufen Müll.«
Ich deutete auf die Zeitung und sah sein Gesicht, als er das Foto erkannte. »Er hatte sich seit ein paar Tagen hier verkrochen«, sagte ich. »Ich nehme an, die Zeitung hat er gestern Abend bekommen.«
Jamie stand vor der Leiche. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das wegen Danny getan hat. Er war ein beschissener Vater. Selbstsüchtig. Egozentrisch.«
Achselzuckend warf ich noch einmal einen Blick auf den Toten, und ich dachte an Grace. Ich erwartete irgendeine Gefühlsregung. Genugtuung. Erleichterung. Aber als ich jetzt vor einem gebrochenen alten Mann in einem Schrott-Trailer am Arsch des Universums stand, empfand ich nichts als Leere. Das alles hätte niemals passieren dürfen.
»Lass uns abhauen«, sagte Jamie.
»Sofort.«
Irgendwo hier gab es eine Botschaft, etwas über das Leben, und wie man es lebte. Ich bückte mich und schaute ein letztes Mal in das Gesicht eines Mannes, den ich seit meiner Kindheit kannte. Er war verkorkst und verbittert gestorben. Etwas drehte sich in meiner Brust. Ich schaute tief in mich hinein, aber da war keine Spur von Vergebung. Jamie hatte recht. Zebulon Faith war ein beschissener Vater gewesen, ein schlechter Mensch, und auch ich bezweifelte, dass er sich umgebracht hatte, weil sein Sohn ermordet worden war. Da musste mehr dahinterstecken.
Ich fand es in seiner linken Hand.
Es schmiegte sich fest in die Handfläche, ein Fetzen Zeitungspapier, zusammengeknüllt und feucht, der zwischen Hand und Wodka-Flasche geklemmt hatte. Ich schälte ihn von den gespreizten Fingern ab und drehte ihn ins Licht.
»Was ist das?«
Ich sah Jamie an. »Die Ankündigung einer Zwangsvollstreckung.«
»Hä?«
»Es geht um das Land am Fluss, das er gekauft hat.« Ich blätterte die Zeitung auf dem Boden durch und fand die Stelle, wo er es herausgerissen hatte. Ich warf einen Blick auf das Datum, knüllte den Fetzen zusammen und legte ihn wieder in seine Hand. »Anscheinend hat er sich verspekuliert.«
»Wie meinst du das?«
Ich warf einen letzten Blick auf die verfallene Hülse, die von Zebulon Faith übrig war. »Er hatte soeben alles verloren.«
NEUNUNDZWANZIG
D ie nächsten sechs Stunden verbrachten wir damit, nach Insekten zu schlagen und mit Männern zu reden, deren Blick versteinert war. Die Ortspolizei kam als Erste, dann erschienen Grantham und Robin in getrennten Autos. Sie waren hier nicht zuständig, aber die Ortspolizisten ließen sie bleiben, als sie erfuhren, aus welchen Gründen sie sich für den Fall interessierten: Mord, Körperverletzung, Brandstiftung, Methamphetamin. Das waren echte Verbrechen. Hardcore-Kriminalität. Aber sie erlaubten nicht, dass die beiden mit uns sprachen. Die Ortspolizei hatte hier und jetzt eine Leiche; also spielte die Ortspolizei die erste Geige. Das passte Grantham nicht. Er diskutierte und drohte, doch er war hier nicht zuständig. Ich spürte seine Wut quer über die Lichtung hinweg. Dies war die zweite Leiche, die ich gemeldet hatte. Erst der Sohn, jetzt der Vater. Grantham ahnte, dass etwas Großes dahintersteckte, und er wollte mich.
Und zwar sofort.
Dreimal packte er den Ermittlungsleiter beim Ärmel. Er redete mit lauter Stimme und heftigem Gefuchtel auf ihn ein. Er drohte mit Anrufen bei Vorgesetzten. Einmal, als es aussah, als würde die Ortspolizei nachgeben, schaltete Robin sich ein. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber Grantham lief noch dunkler an, und als er ihr antwortete, tat er es fast ohne erkennbare Regung. Er hatte seinen offenkundigen Frust unterdrückt und beherrschte sich, aber ich spürte seine Anspannung und seine Wut auf sie, und sein Blick durchbohrte ihren Rücken, als sie davonging.
Die Ortspolizisten stellten ihre Fragen, und ich gab meine Antworten. Wir haben angeklopft. Wir haben die Tür aufgemacht. Peng. Ende der Geschichte.
Ganz einfach.
Die Ermittler der Drogenbehörde rollten kurz vor Mittag an. Sie sahen scharf aus in ihren identischen Jacken, und sie wären schon eher gekommen, aber sie hatten sich verfahren. Robin konnte weder ihre Verachtung noch ihre Erheiterung verbergen — ebenso wenig wie ihr Gefühl für mich: Sie war wütend. Ich sah es in ihren Augen, an ihrem Mund und an ihrer Haltung. An allem. Doch es war eine andere,
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