Der dunkle Fluss
runzlig geschlossen; über den Fernsehschirm rieselte reiner Schnee.
Jamie drängte sich hinter mir herein. Der Trailer neigte sich unter seinem Gewicht, und Faith öffnete die Augen. Der Revolver bewegte sich nicht. Ich trat einen Schritt vor und zur Seite, um ein freies Schussfeld zu haben. Er lächelte mich an, mit dem hasserfülltesten Lächeln, das ich je gesehen hatte. Der Hass füllte ihn aus und versickerte dann, und an seiner Stelle stieg eine tiefe Hoffnungslosigkeit in ihm herauf, wie ich sie nur einmal gesehen hatte.
Und der Revolver hob sich.
»Nicht«, sagte ich.
Er zögerte, nahm einen letzten, kräftigen Zug aus der Wodka-Flasche. Dann wurden seine Augen glasig, als sei er schon hinüber. Ich stemmt mich gegen den Gewehrkolben, mein Finger krampfte so sehr um den Abzug verkrampft, dass ich die Gelenke knirschen hörte.
Aber tief im Innern wusste ich es schon.
Der Revolver hob sich, geradlinig, fließend, unaufhaltsam. Die harte runde Mündung drückte sich in den Hautbalg unter dem Kinn des alten Mannes.
»Nicht«, sagte ich noch einmal, aber nicht sehr laut.
Er drückte ab.
Besprühte die Decke mit rotem Dunst.
Der Schuss dröhnte in dem engen Raum, und Jamie taumelte zurück und fiel auf einen Küchenstuhl. Er hatte einen Schock; sein Mund stand offen, seine Augen waren aufgerissen, die Pupillen geweitet. »Warum hast du gewartet?«, fragte er schließlich mit stockender Stimme. »Er hätte uns erschießen können.«
Ich lehnte die Schrotflinte an die Wand und schaute hinunter auf das zusammengefallene Wrack des Mannes, den ich fast mein ganzes Leben lang gekannt hatte. »Nein«, sagte ich. »Das hätte er nicht.«
Jamie blickte sich um. »Ich hab noch nie so viel Blut gesehen.« Ich wandte den Blick von Faith ab und sah meinen Bruder durchdringend an. »Ich schon«, sagte ich und ging hinaus.
Als Jamie herauskam, hielt er sich an dem wackligen Geländer fest, als wolle er sich hinüberbeugen und kotzen. »Du hast doch nichts angefasst, oder?«, fragte ich.
»Nein, verdammt!«
Ich wartete, bis er mich ansah. »Faith war von oben bis unten voller Ruß, und er hatte eine scheußliche Brandwunde am Arm. Die ganze Bude stank nach Benzin.« Jamie sah, worauf ich hinauswollte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich muss mich bei dir entschuldigen.«
Er winkte ab und sagte kein Wort.
»Im Ernst, Jamie. Es tut mir leid. Ich habe mich geirrt.«
»Die Zockerei ist mein Problem«, sagte er. »Es betrifft nur mich und niemanden sonst. Ich bin nicht stolz darauf, und ich hab keine Ahnung, was ich da machen soll, aber ich würde niemals etwas tun, was Dad oder Grace oder sonst jemandem schaden könnte.« Er schwieg kurz. »Es ist mein Problem. Ich werde es lösen.«
»Ich helfe dir«, versprach ich.
»Das brauchst du nicht.«
»Du bist mein Bruder, und ich bin es dir schuldig. Aber jetzt müssen wir uns überlegen, was wir tun sollen.«
»Was wir tun sollen? Wir machen, dass wir hier wegkommen. Er ist ein durchgeknallter alter Säufer, der sich erschossen hat. Niemand braucht zu wissen, dass wir überhaupt hier waren.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht gut. Ich war gestern schon hier und habe Fragen gestellt. Wahrscheinlich sind hier Fingerabdrücke. Und auch wenn die Hütten, an denen wir vorbeigefahren sind, dunkel waren, garantiere ich dir, dass wir nicht ungesehen hergekommen sind. Hier erkennen sie jeden Fremden. Wir müssen es melden.«
»Verdammt, Adam, wie wird das denn aussehen? Wir beide hier, im Morgengrauen? Mit einer 12er Flinte in seinem Trailer?«
Ich gestattete mir ein schmales Lächeln. »Von der Flinte braucht niemand etwas zu erfahren.« Ich ging zurück in den Trailer und holte das Gewehr. »Schließ das Ding im Kofferraum ein. Ich sehe mich noch mal um.«
»Kofferraum. Superidee.«
Ich nahm ihn beim Arm. »Wir hatten einen Verdacht wegen des Brandes. Wir sind hergekommen, um freundlich ein paar Fragen zu stellen. Wir haben angeklopft und sind hineinspaziert, als er sich gerade eine Kugel in den Kopf jagte. Alles so, wie es passiert ist. Nur ohne die Flinte.«
Ich ging wieder hinein und sah mich um. Der alte Mann lag auf der Seite, und seine Schädeldecke hatte ein großes Loch. Ich ging die paar Schritte auf ihn zu und achtete darauf, wohin ich trat. In seinem Gesicht war so gut wie kein Blut. Es war ein wenig lang gezogen, sah aber sonst aus wie immer.
Den Fernseher ließ ich laufen. Der vergammelte Bodenbelag war von Wodka getränkt. Auf dem Boden neben
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