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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Weltgeschichte spielte. Wir können aber bloß berichten, daß es ihm gefiel, einzutreten und sein Buch zurückzuverlangen, gerade als der Professor auf Seite 44 umblätterte.
    Es war ein kleiner Mann in weiten Knickerbockers.
    »Ich habe hier auf dem Sofa ein Buch liegenlassen«, sagte er.
    Schuldbewußt stammelte der Professor eine Entschuldigung und gab Conway Carruthers zurück.
    »Aber ich bitte Sie, aber ich bitte Sie«, versicherte der andere. »Ich weiß doch, wie das ist. Wenn man einmal mit so einem verdammten Schund angefangen hat, kann man vor der letzten Seite nicht mehr aufhören. Und das ist ja gerade das Schöne an der Sache. Eine spannende Geschichte, die einen die Wirklichkeit vergessen läßt. Meine Frau will immer nur über das wirkliche Leben lesen. Aber wer zum Teufel, sage ich immer, will denn etwas über das wirkliche Leben erfahren? Da lobe ich mir Carruthers. Der hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.«
    Der Professor erwiderte geistesabwesend das Abschiedsnicken, jedoch wie er so dasaß und dem Regen, der ans Fenster prasselte, zusah, tönten die Worte des Mannes in seinen Ohren nach: »Der hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.«
    Wenn Conway Carruthers doch nur wirklich wäre! Dieser fantastische Charakter, der in jedem Fach ein Meister und nie um einen Einfall verlegen war, hatte etwas Beruhigendes. Carruthers wäre mit Kassen und seiner Bombe spielend fertig geworden. Carruthers hätte mit Groom umgehen können. Und vor allem hätte Carruthers genau gewußt, was jetzt getan werden mußte. Wenn nur er in diesem Sessel säße, mit seinen stahlgrauen, wachsamen Augen, mit seinen langen, schmalen sensiblen Fingern, die ruhig und geschickt in den Tabakbeutel griffen, um die Pfeife zu stopfen. In dem übermüdeten Gehirn des Professors wurde das Bild lebendig bis zur Wirklichkeit.
     
    »Und so liegt’s denn an uns, die Zivilisation zu retten«, murmelte Carruthers. Für einen Moment wurden die harten Linien seines Mundes weich, dann wurde sein Gesicht wieder zur Maske. »Zuerst«, sagte er barsch, »heißt’s einmal, Cator & Bliss zuvorzukommen. Ich fahre noch heute nacht nach Zovgorod.«
     
    Zu seiner Verwunderung ertappte sich der Professor, daß er den letzten Satz laut gesprochen hatte. Er erschrak und nahm sich zusammen. Was um Himmels willen war nur los mit ihm? Der Sessel ihm gegenüber war leer, und er hatte mit sich selber gesprochen. Eine leichte Furcht packte ihn, und er erhob sich und trat verwirrt an das Fenster. Er verspürte plötzlich den dringenden Wunsch, den Raum zu verlassen, an die frische Luft zu gehen und nach Truro in seinen Erholungsurlaub zu fahren. Groom, Kassen und die ganze Zivilisation sollten sehen, wie sie zurechtkamen; er war müde, sehr müde.
    Die Straße, die aus Launceston führt, steigt steil an, hinauf ins Moor, das zwischen Launceston und Truro liegt. Es gibt wohl keinen verlasseneren Landstrich in England, und die meisten Autofahrer nehmen die Hauptstraße, weil sie in der öden Heidelandschaft, viele Meilen von jeder Garage entfernt, keinen Motorschaden riskieren wollen. Der Professor jedoch wollte nicht auf einer verkehrsreichen Straße fahren und nahm eine Nebenstraße.
    Er hatte gehofft, der kalte Wind, der über die Heide blies, würde ihn erfrischen, aber das eintönige Motorengeräusch und das Heulen des Windes verstärkten bloß die Müdigkeit, die ihn befallen hatte. Er merkte es ein erstes Mal, als ihn ein Ausbrechen des Wagens fast im Straßengraben landen ließ. Er war einen Moment eingenickt. Als er sich zu konzentrieren versuchte, verspürte er eine seltsame Leichtigkeit im Kopf, eine seltsame Leichtigkeit und … noch etwas. Unter normalen Umständen hätte er sofort angehalten, wäre ausgestiegen und hätte sich etwas die Beine vertreten, bis er wieder wach geworden wäre. Jetzt aber erfaßte ihn Panik, und er trat aufs Gaspedal. Er mußte so schnell wie möglich weg von diesem Stimmengewirr in seinem Kopf, das zum Verrücktwerden war. Aber je schneller der Wagen fuhr, desto lauter wurden die Stimmen, und sie steigerten sich zu einem höllischen Geschrei, das plötzlich mit einem scharfen Klick abbrach. Dann hörte er bloß noch ein leises Kratzen, das langsam lauter wurde, bis es ihn fast erreichte und dann erstarb, so daß nur noch das Summen des Motors und das Schlagen seines Herzens übrigblieben. Dann kam das Kratzen wieder, wurde lauter und lauter, aber diesmal hörte er über dem Höllenkrach, der in seinem Gehirn tobte,

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