Der dunkle Kuss der Sterne
schlüpfte ins Zimmer und ließ sich neben mich auf das Bett fallen.
»Haben sie schon etwas beschlossen?«, flüsterte ich. Meine Stimme konnte ich schon nicht mehr ertragen, und noch viel weniger die Furcht darin.
»Nein, vor einer halben Stunde sind sie gegangen. Aber bis zuletzt haben sie noch diskutiert, ob Tians Familie eine andere Tochter an deine Stelle setzen würde.«
Eine andere Schwester hätte mir den Kopf mit Hoffnungen gefüllt, mir versichert, dass die Hochzeit bestimmt noch stattfinden würde, aber Vida war hart im Verhandeln und ebenso hart in ihrer Ehrlichkeit. Und ich wusste es ja auch selbst: Natürlich hatten die höchsten Familien immer einen Ausweichplan, eine zweite mögliche Verbindung in der Hinterhand. Denn es kam zwar selten vor, aber es geschah: Krankheit oder Tod konnte einander Versprochene trennen, selbst in unserer Familie war es schon passiert. Je nach Nutzen wurde dann ein neuer Partner gefunden, dafür musste natürlich ein anderes Versprechen gelöst werden, was mit Geld und Privilegien teuer bezahlt wurde. Selbst wenn der neue Partner nie gut genug passte – es war besser als nichts, denn eine Zweiheit zu sein war das Wichtigste. Ich war sicher, dass auch meine Eltern hinter meinem Rücken schon in meiner Kindheit solche Abmachungen getroffen hatten – für den Fall, dass Tian starb.
Vida schmiegte ihre Stirn an meine Schulter und schniefte. Im Dunkeln tastete ich nach ihrer Hand.
»Nicht weinen, Floh!« Es tat unendlich gut, für einige Momente wieder ihre große Schwester sein zu können.
»Ich weine nicht«, kam es mit dünner Stimme zurück. Sie umklammerte meine Finger so fest, dass es schmerzte, und schniefte wieder.
»Denken sie darüber nach, deine Verbindung mit Lewin zu lösen?«
Haar rieb an meiner Wange, als sie nickte. Zarter Duft nach Rosenwasser stieg in meine Nase. »Ja, sie haben überlegt, ob ich an deine Stelle treten kann. So würde wenigstens die Verbindung der beiden Familien bestehen bleiben. Onkel Nosan und Tante Sil wollen bei den Anwälten von Lewins Familie vorfühlen, wie viel eine Auflösung unseres Versprechens kosten würde. Ich will aber nicht Tian! Er gehört zu dir, und ich bleibe lieber allein, als dich unglücklich zu machen. Und ich … ich habe doch Lewin!«
Obwohl der Gedanke, einen Ersatz für mich zu bieten, völlig logisch war, kränkte mich dieser Schachzug meiner Familie. »Da haben Onkel Nosan und die alte Hexe Sil die Rechnung ohne uns gemacht, Floh. Mach dir keine Sorgen. Tian wird mich niemals aufgeben. Eher würde er sterben oder sein Dasein als Einzelner fristen, als eine andere zu nehmen. Wir sind nicht nur Versprochene. Wir lieben uns!« Diese Gewissheit war tröstend und wärmend, die letzte Sicherheit. Und gleichzeitig mein größter Kummer. Denn was auch immer mit mir passiert war – es würde uns im schlimmsten Fall beide in den Abgrund reißen.
Vidas Griff lockerte sich, aber sie ließ meine Hand nur zögernd los. »Mutter hat seinen Eltern ausrichten lassen, dass du krank geworden bist. Sie haben Tian sofort wecken und aus dem Prunkzimmer rufen lassen. Und gerade … sind sie hergekommen.«
Jetzt fühlte ich mich doch krank – wie von einem jähen Fieber ergriffen. »Tian ist hier?«
»Scht! Nicht so laut. Nein, nur seine Eltern. Sie sind sehr aufgebracht. Mutter und Vater versuchen gerade, sie wieder wegzuschicken. Aber Manja besteht darauf, dich zu sehen. Sie weint sogar!«
Der Name von Tians Mutter war wie ein Lichtstrahl. Natürlich sorgte sie sich um mich, in ihrem Herzen war ich längst schon ihre Tochter. Und wenn sie schon verrückt vor Sorge um mich war – wie ging es dann erst meinem Geliebten?
»Vater hat mich zu dir geschickt«, fuhr Vida flüsternd fort. »Ich soll so tun, als hätte ich mit den Ärzten geredet. Ich muss wieder zurück.«
Sie sprang vom Bett und eilte hinaus. Die Tür blieb angelehnt. Vida kannte mich und wusste, ich war vernünftig genug, im Zimmer zu bleiben. Nur dass heute nichts mehr vernünftig und logisch war. Mühsam erhob ich mich und tastete mich zur Tür. Aber als müsste ich mir beweisen, dass ich trotzdem noch die vernünftige Hohe Tochter war, zog ich den Schleier über den Kopf und schlüpfte erst dann aus dem Raum.
Die palastartigen Gemächer meiner Familie lagen direkt unter der Kuppel eines der ältesten Türme. Als Kinder hatten meine Schwester und ich in dem Labyrinth aus geschnitzten Raumteilern, Flügeltüren und verborgenen Winkeln gespielt. Und mehr
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