Venezianische Verfuehrung
1. KAPITEL
Wenigstens ist die Maschine aus London pünktlich, dachte Domenico Chiesa. Hätte ihn jemand anderes als Lorenzo Forli gebeten, die junge Engländerin am Flughafen Marco Polo in Empfang zu nehmen, hätte er den Auftrag abgelehnt.
Ungeduldig beobachtete er die Passagiere, die die Zollkontrolle verließen. Es waren viele junge Frauen mit langen blonden Haaren darunter, aber keine schien allein zu reisen. Endlich sah er eine einzelne Frau, die einen Koffer hinter sich herzog und in seine Richtung eilte. War sie es? Sie trug einen weißen Sonnenhut und eine große Sonnenbrille und war, wie beschrieben, zierlich, jung und blond.
„Miss Green?“, fragte er, während er auf sie zutrat.
„Ja?“ Argwöhnisch blickte sie ihn an.
„Willkommen in Venedig.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Ich bin Domenico Chiesa von der Forli-Gruppe. Lorenzo Forli hat mich gebeten, Sie zu begrüßen.“
Laura lächelte überrascht. „Tatsächlich? Wie nett von ihm.“
Und noch netter von mir, dachte er gereizt. „Gehen wir. Sie brauchen ein Ticket für das vaporetto. “ Rasch dirigierte er sie zum Schalter nahe des Ausgangs. „Das Schiff der Linie 1 legt gleich ab.“ Er kaufte einen Fahrschein und reichte ihn ihr zusammen mit einer Zeichnung, die den Weg vom Markusplatz zu ihrem Hotel zeigte. „Die Skizze wird Ihnen helfen, das Hotel Locanda Verona zu finden, Miss Green.“
Höflich lächelte sie ihn an. „Vielen Dank. Goodbye.“
„Es tut mir leid, dass …“, begann er, aber sie hastete schon zum Kai. Missmutig sah er hinter ihr her. Er hatte ihr erklären wollen, dass er keine Zeit hatte, sie zu begleiten, doch offenbar legte sie auch keinen Wert darauf.
Seine Stimmung war miserabel, als sie in ein Wassertaxi stieg. Um die junge Frau hier zu erwarten, hatte er eine problematische Situation im Hotel nicht klären können. Dennoch hatte er sich persönlich herbemüht. Er hatte pflichtschuldigst dafür gesorgt, dass sie das richtige vaporetto nahm und zu ihrer Unterkunft fand, die er selbst für sie gesucht hatte. Trotzdem hatte ihre Dankbarkeit einzig und allein Lorenzo gegolten, der lediglich die Anweisungen aus der Zentrale in Florenz gegeben hatte. Ihn, Domenico, hatte sie praktisch ignoriert.
Laura war sich nicht bewusst, dass sie den freundlichen Angestellten gekränkt hatte. Wie aufmerksam von Lorenzo, nicht nur ihre Reise nach Venedig zu arrangieren, sondern auch jemanden zu schicken, der sie willkommen hieß! Sie genoss die Fahrt durch die Lagune und bewunderte auf dem Canal Grande die alten Bauten, die sich teils gegenseitig zu stützen schienen.
Als sie den berühmten Campanile auf dem Markusplatz in der Ferne erblickte, wurde sie noch aufgeregter. Sie gehörte zu den Ersten, die das Schiff verließen und auf der Piazetta die Granitsäule mit dem Löwen passierten. Voller Ehrfurcht betrachtete sie die Markuskirche und konnte es kaum erwarten, die Stadt zu erkunden. Aber zunächst musste sie die Locanda Verona finden.
Sie hatte in der Schule zwar ein bisschen Italienisch gelernt, jedoch ihre Sprachkenntnisse nie wirklich in der Praxis erprobt. Selbst wenn es ihr gelänge, sich nach dem Weg zu erkundigen, würde sie die Antwort mit Sicherheit nicht verstehen. Also holte sie die Skizze hervor, die ihr der kurz angebundene Mr. Chiesa gegeben hatte, studierte sie und überquerte dann den Markusplatz.
Sie ging unter dem Torbogen des Torre dell’Orologio hin durch, von dessen Dach über der großen Uhr zwei Mohren die Stunde schlagen, und betrat die Merceria, Venedigs bekannte Einkaufsstraße. Der Beschreibung zufolge sollte das Hotel irgendwo hier in einer der vielen Gassen liegen, von denen aus immer wieder unzählige Brücken über die Kanäle führten. Nachdem sie nur zweimal falsch abgebogen war, zog sie ihren Koffer schließlich über die richtige Brücke und landete unmittelbar vor der Tür der Locanda Verona.
Es war ein kleines Gästehaus, in dessen Foyer sie nach der spätnachmittäglichen Hitze draußen eine angenehme Kühle empfing. Lächelnd eilte ihr eine hübsche Frau entgegen, die sich ihr auf Englisch als Maddalena Rossi, Ehefrau des Besitzers, vorstellte. Und nachdem die Formalitäten erledigt waren, geleitete die Italienerin sie zu ihrem Zimmer in der obersten Etage.
„Es ist nicht groß, hat dafür aber ein eigenes Bad“, erklärte sie, während sie die Tür aufschloss. „Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl.“
Laura ließ den Blick durch den Raum mit der gewölbten
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