Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Dunkle Turm 1 - Schwarz

Titel: Der Dunkle Turm 1 - Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
Vom Netzwerk:
verstrichen waren, seit er das Haus des letzten Grenzbewohners verlassen hatte, eines normal-verrückten jungen Mannes am Rand der Wüste. Er hatte einen Raben gehabt, erinnerte sich der Revolvermann, aber der Name des Raben fiel ihm nicht mehr ein.
    Er sah zu, wie sich seine Füße hoben und senkten, lauschte dem Nonsenslied, das sich in seinem Verstand zu bemitleidenswerter Verstümmelung sang und fragte sich, wann er zum ersten Mal hinfallen würde. Er wollte nicht hinfallen, auch wenn es niemand sehen konnte. Das war eine Frage des Stolzes. Ein Revolvermann weiß, was Stolz ist – der unsichtbare Knochen, der den Hals steif hält.
    Er blieb unvermittelt stehen und sah auf. Sein Kopf summte, und einen Augenblick schien sein ganzer Körper zu schweben. Am fernen Horizont träumten die Berge. Aber vor ihm war noch etwas anderes, etwas viel Näheres. Möglicherweise nur fünf Meilen entfernt. Er blinzelte, aber seine Augen waren sandverklebt und blind vom grellen Sonnenlicht. Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Das Lied kreiste und summte. Etwa eine Stunde später fiel er hin und schürfte sich die Hände auf. Er sah die winzigen Blutstropfen auf seiner sich abschälenden Haut ungläubig an. Das Blut sah nicht dünner aus; es schien auf stumme Weise lebensfähig zu sein. Es schien beinahe ebenso schmuck wie die Wüste zu sein. Er strich die Tropfen voll blindem Haß weg. Schmuck? Warum nicht? Das Blut war nicht durstig. Dem Blut wurde gedient. Dem Blut wurden Opfer dargebracht. Blutopfer. Das Blut mußte nichts weiter tun als fließen… fließen… fließen.
    Er betrachtete die Tropfen, die auf die Kruste gefallen waren, und beobachtete, wie sie mit unziemlicher Hast aufgesogen wurden. Wie schmeckt dir dieses Blut? Macht es dich an?
    O Jesus, du bist völlig hinüber.
    Er stand auf und hielt die Hände vor die Brust, und das Ding, das er vorhin gesehen hatte, war fast direkt vor ihm und entlockte ihm einen überraschten Schrei – einen stauberstickten Krähenruf. Es war ein Gebäude. Nein; zwei Gebäude, die von einem umgestürzten Lattenzaun umgeben waren. Das Holz schien alt und bis zur Elfenhaftigkeit zerbrechlich zu sein; es war Holz, das in Sand umgewandelt wurde. Eines der Gebäude war ein Stall gewesen – die Form war klar und unmißverständlich. Das andere war ein Haus, oder ein Gasthaus. Ein Rasthaus der Postkutschenlinie. Das baufällige Sandhaus (der Wind hatte das Holz so sehr mit Sand verkrustet, daß es wie eine Sandburg aussah, welche die Sonne bei Ebbe gebacken und zu einer vorübergehenden Bleibe gehärtet hatte) warf einen schmalen Schatten, und in diesem Schatten saß jemand und lehnte sich an das Gebäude. Und das Gebäude schien sich unter der Last seines Gewichts zu biegen.
    Also er. Endlich. Der Mann in Schwarz.
    Der Revolvermann stand mit den Händen an der Brust da, bemerkte die deklamatorische Haltung aber nicht und glotzte. Und anstelle des gewaltigen Flügelschlags der Aufregung, den er erwartet hatte – oder sogar Angst, oder Ehrfurcht –, spürte er lediglich ein vages, atavistisches Schuldgefühl angesichts des tobenden Hasses seines eigenen Blutes vor wenigen Augenblicken, sowie den endlosen Ringelreihen des Kinderliedes:
    … es grünt so grün…
    Er ging einen Schritt weiter und zog eine Pistole.
    … wenn Spaniens Blüten blühen.
    Die letzte Viertelmeile legte er laufend zurück, ohne einen Versuch zu unternehmen, sich zu verstecken; es war nichts da, hinter dem er sich hätte verstecken können. Sein kurzer Schatten eilte ihm voraus. Ihm war nicht bewußt, daß sein Gesicht zu einer grauen, grinsenden Totenmaske der Erschöpfung geworden war; er sah nur die Gestalt im Schatten. Erst später kam ihm der Gedanke, daß die Gestalt im Schatten hätte tot sein können.
    Er kickte eine der windschiefen Zaunlatten durch – sie brach lautlos, beinahe unterwürfig entzwei – und lief über den stummen und sengenden Vorplatz des Stalls, wobei er die Pistole hochhob.
    »Keine Bewegung! Keine Bewegung! Keine…«
    Die Gestalt bewegte sich unruhig und stand auf. Der Revolvermann dachte: Mein Gott, er ist zu einem Nichts geschwunden, was ist mit ihm passiert? Denn der Mann in Schwarz war um ganze sechzig Zentimeter geschrumpft, sein Haar war weiß geworden.
    Er blieb wie vom Donner gerührt stehen, sein Kopf summte unmelodisch. Sein Herzschlag raste mit irrer Geschwindigkeit, und er dachte: Ich werde genau hier sterben…
    Er sog die weißglühende Luft in die Lungen und ließ

Weitere Kostenlose Bücher