Der Dunkle Turm 1 - Schwarz
im Boden aufhörte. Der Revolvermann hatte ähnliche Pumpen an anderen trockenen Orten gesehen, aber noch niemals eine so große. Er konnte nicht abschätzen, wie tief sie hatten bohren müssen, um Wasser zu finden, das im geheimen und in ewiger Schwärze unter der Wüste floß. Warum hatten sie die Pumpe nicht abgebaut, als das Rasthaus aufgegeben worden war?
Vielleicht Dämonen.
Er erschauerte unvermittelt, ein plötzliches Zucken seines Rückens. Er bekam eine Gänsehaut, die wieder verschwand. Er ging zur Bedienungseinrichtung und drückte auf den Knopf mit der Aufschrift EIN. Die Maschine fing an zu summen. Nach etwa einer halben Minute rülpste ein Strahl kalten, klaren Wassers aus dem Rohr und ergoß sich in den Abfluß, damit es dem Kreislauf wieder zugeführt wurde. Etwa zehn Liter flossen aus dem Rohr, bevor die Pumpe sich mit einem Klick wieder abschaltete. Sie war etwas, das sich an diesem Ort und in dieser Zeit so fremd ausnahm wie wahre Liebe, und dennoch so konkret wie ein Gottesurteil war, eine stumme Erinnerung an die Zeit, als die Welt sich noch nicht weiter gedreht hatte. Sie wurde wahrscheinlich von Kernenergie angetrieben, da es im Umkreis von tausend Meilen keine Elektrizität gab und selbst Trockenbatterien schon vor langer Zeit ihre Ladung verloren gehabt hätten. Das gefiel dem Revolvermann nicht.
Er ging zurück und setzte sich neben den Jungen, der eine Hand unter die Wange geschoben hatte. Hübscher Junge. Der Revolvermann trank noch etwas Wasser und überkreuzte die Beine, so daß er nach Art der Indianer dasaß. Der Junge hatte jegliches Zeitgefühl verloren, so wie der Grenzbewohner am Rand der Wüste, der den Vogel bei sich gehabt hatte (Zoltan, erinnerte sich der Revolvermann unvermittelt, der Name des Vogels war Zoltan), aber es schien kein Zweifel an der Tatsache zu bestehen, daß er dem Mann in Schwarz nähergekommen war. Der Revolvermann fragte sich nicht zum ersten Mal, ob der Mann in Schwarz ihn aus seinen eigenen unerfindlichen Gründen aufholen ließ. Vielleicht spielte ihm der Revolvermann in die Hände. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Konfrontation aussehen mochte, konnte es aber nicht.
Ihm war sehr heiß, aber nicht mehr übel. Das Kinderlied fiel ihm wieder ein, aber dieses Mal dachte er nicht an seine Mutter, sondern an Cort – an Cort, dessen Gesicht von den Narben von Steinen und Kugeln und stumpfen Gegenständen verunstaltet war. Den Narben des Krieges. Er fragte sich, ob Cort jemals eine Liebe empfunden hatte, welche diesen monumentalen Narben gleichgekommen war. Er bezweifelte es. Er dachte an Aileen und an Marten, den unvollkommenen Zauberer.
Der Revolvermann war kein Mensch, der an die Vergangenheit dachte; nur eine schemenhafte Vorstellung von der Zukunft und seiner eigenen emotionalen Ausstattung bewahrten ihn davor, ein Geschöpf ohne Phantasie zu sein, ein Langweiler. Daher erstaunte ihn der gegenwärtige Verlauf seiner Gedanken. Jeder Name beschwor andere herauf – Cuthbert, Paul, der alte Jonas; und Susan, das liebreizende Mädchen am Fenster.
Der Klavierspieler in Tull (der auch tot war, wie alle in Tull, von seiner Hand getötet) war in die alten Stücke vernarrt gewesen, und nun summte der Revolvermann eines tonlos beim Atmen:
Love o love o careless love
See what careless love has done.
Der Revolvermann lachte verwirrt. Ich bin der Letzte der grünen, warm getönten Welt . Doch trotz aller Sehnsucht empfand er kein Selbstmitleid. Die Welt hatte sich gnadenlos weitergedreht, aber seine Beine waren immer noch kräftig, und der Mann in Schwarz war ihm näher. Der Revolvermann nickte ein.
Als er aufwachte, war es fast dunkel, und der Junge war fort.
Der Revolvermann stand auf, wobei er seine Gelenke knacken hörte, und ging zur Stalltür. Auf der Veranda des Gasthauses tanzte eine winzige Flamme in der Dunkelheit. Er schritt darauf zu, und sein Schatten war lang und schwarz und folgte ihm im ockerfarbenen Licht des Sonnenuntergangs.
Jake saß neben einer Petroleumlampe. »Das Öl war in einem Faß«, sagte er, »aber ich hatte Angst davor, es im Haus anzuzünden. Es ist alles so trocken…«
»Das hast du richtig gemacht.« Der Revolvermann setzte sich; er sah den Staub der Jahre, der um seinen Körper herum emporstob, dachte aber nicht darüber nach. Die Flamme der Lampe zeigte das Gesicht des Jungen in feinen Schattierungen. Der Revolvermann holte den Tabaksbeutel heraus und drehte eine Zigarette. »Wir müssen miteinander
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