Der Dunkle Turm 2 - Drei
sah zu ihm auf.
»Muß ich?«
»Versuch es einfach«, sagte er.
»Ich habe nie wieder Muscheln gegessen«, sagte sie.
»Bitte?«
»Ich dachte, ich hätte es dir erzählt.«
»Hast du vielleicht«, sagte er und lachte nervös. Was der Revolvermann gesagt hatte, er solle sie nichts von der anderen wissen lassen, ragte in diesem Augenblick drohend in seinem Denken auf.
»Eines Abends, als ich zehn oder elf war, gab es welche bei uns zum Essen. Ich verabscheute, wie sie schmeckten, wie kleine Gummibälle, und später mußte ich mich erbrechen. Ich habe nie wieder welche gegessen. Aber…« Sie seufzte. »Wie du gesagt hast, ich werde es ›einfach versuchen‹.«
Sie nahm ein Stück in den Mund wie ein Kind einen Löffel Medizin, von der es genau weiß, daß sie abscheulich schmeckt. Zuerst kaute sie langsam, dann schneller. Sie schluckte. Nahm noch ein Stück. Kaute. Schluckte. Noch eins. Jetzt verschlang sie es fast.
»Puh, mach langsam!« sagte Eddie.
»Das muß eine andere Art sein! Das ist es, natürlich, das ist es!« Sie sah Eddie strahlend an. »Wir sind weiter am Strand entlanggegangen, und die Art hat sich verändert! Scheint so, als wäre ich nicht mehr allergisch dagegen! Es schmeckt nicht übel, so wie vorher… und ich habe versucht, es unten zu behalten, nicht?« Sie sah ihn unverhohlen an. »Ich habe es sehr versucht.«
»Ja.« Er fand, daß er sich wie ein Radio anhörte, das einen sehr weit entfernten Sender übertrug. Sie denkt, sie hat jeden Tag gegessen und dann alles wieder ausgekotzt. Sie glaubt, daß sie deshalb so schwach ist. Allmächtiger Heiland. »Ja, du hast es verdammt versucht.«
»Es schmeckt…« Er konnte die Worte kaum verstehen, weil sie den Mund so voll hatte. »Es schmeckt so gut!« Sie lachte. Der Laut war zaghaft und lieblich. »Es wird unten bleiben! Ich werde mich ernähren! Ich weiß es! Ich fühle es!«
»Aber übertreib nicht!« ermahnte er sie und gab ihr einen der Wasserschläuche. »Du bist nicht daran gewöhnt. Das viele…«
Er schluckte, und in seinem Hals gab es einen (jedenfalls für ihn) hörbaren Schnalzlaut. »Das viele Erbrechen.«
»Ja. Ja.«
»Ich muß ein paar Minuten mit Roland sprechen.«
»Gut.«
Aber bevor er gehen konnte, nahm sie wieder seine Hand.
»Danke, Eddie. Danke, daß du so geduldig warst. Und bedank dich auch bei ihm.« Sie machte eine ernste Pause. »Danke ihm, aber sag ihm nicht, daß er mir Angst macht.«
»Werde ich nicht«, hatte Eddie gesagt, und dann war er zum Revolvermann zurückgegangen.
3
Auch wenn sie nicht mitschob, war Odetta eine Hilfe. Sie navigierte mit der Präzision einer Frau, die lange Zeit einen Rollstuhl durch eine Welt geschoben hatte, die erst in kommenden Jahren lernen würde, behinderte Menschen wie sie zu akzeptieren.
»Links«, rief sie, und Ed die fuhr nach links, an einem Felsen vorbei, der wie ein verfaulter Fangzahn aus dem Geröll herausragte. Er allein hätte ihn vielleicht gesehen… oder auch nicht.
»Rechts«, rief sie, und Eddie lenkte nach rechts und entging knapp einer der immer seltener werdenden Sandfallen.
Schließlich hielten sie an, und Eddie legte sich schweratmend hin.
»Schlaf«, sagte Odetta. »Eine Stunde. Ich wecke dich.« Eddie sah sie an.
»Ich lüge nicht. Ich habe den Zustand deines Freundes gesehen, Eddie…«
»Weißt du, er ist nicht gerade mein Fr…«
»… und ich weiß, wie wichtig Zeit ist. Ich werde dich nicht aus einem irregeleiteten Gefühl von Mitleid länger als eine Stunde schlafen lassen. Ich kann den Stand der Sonne ziemlich gut lesen. Du wirst dem Mann nichts nützen, wenn du dich so sehr strapazierst, oder?«
»Nein«, sagte er und dachte: Aber du verstehst nicht. Wenn ich schlafe und Detta Walker kommt zurück…
»Schlaf, Eddie«, sagte sie, und da Eddie zu müde war (und zu verliebt), ihr nicht zu vertrauen, schlief er. Er schlief, und sie weckte ihn, wie sie es versprochen hatte, und sie war immer noch Odetta, und sie gingen weiter, und sie half wieder beim Schieben. Sie rasten den schmaler werdenden Strand entlang auf die Tür zu, die Eddie verzweifelt suchte und die er nicht sah.
4
Als er Odetta ihrer ersten Mahlzeit seit Tagen überlassen hatte und zum Revolvermann zurückgegangen war, schien es Roland ein wenig besser zu gehen.
»Bück dich«, sagte er zu Eddie.
Eddie bückte sich.
»Laß mir den halbvollen Schlauch da. Mehr brauche ich nicht. Bring sie zu der Tür.«
»Und wenn ich sie
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