Der Dunkle Turm 4 - Glas
Sache angenommen hatte.
»Wir könnten sie zum Reden bringen«, sagte Cuthbert, aber Roland konnte dessen Stimme anhören, dass das eigentlich nicht so richtig nach Berts Geschmack wäre. Vielleicht später, vielleicht nach Jahren als Präriereiter und Revolvermann, aber heute hatte er ebenso wenig den Schneid für Folter wie für bedingungsloses Töten.
»Selbst wenn wir könnten, wir könnten sie nicht dazu bringen, die Wahrheit zu sagen. Solche wie sie lügen, wie andere Leute atmen. Wenn wir sie überzeugt haben zu schweigen, haben wir für heute genug erreicht. Komm. Mir ist dieser Ort zuwider.«
18
Als sie zurück zur Stadt ritten, sagte Roland: »Wir müssen ein Treffen vereinbaren.«
»Wir vier. Das hast du gemeint, oder nicht?«
»Ja. Ich will alles sagen, was ich weiß und vermute. Ich will euch in meinen Plan einweihen, wie er ist. Worauf wir gewartet haben.«
»Das wäre wirklich ausgezeichnet.«
»Susan kann uns helfen.« Roland schien mit sich selbst zu sprechen. Cuthbert bemerkte amüsiert, dass das einzelne Blatt immer noch wie eine Krone sein Haar schmückte. »Es ist Susans Bestimmung, uns zu helfen. Warum habe ich das nicht gesehen?«
»Weil Liebe blind macht«, sagte Cuthbert. Er lachte schnaubend und schlug Roland auf die Schulter. »Liebe macht blind, alter Junge.«
19
Als sie sich sicher war, dass die Jungs weggeritten waren, schlich Rhea zur Tür hinaus in das verhasste Sonnenlicht. Sie hinkte zum Baum hinüber, ließ sich dort vor ihrer zerfetzten Schlange auf die Knie nieder und weinte laut.
»Ermot, Ermot!«, schluchzte sie. »Sieh nur, was aus dir geworden ist!«
Da lag sein Kopf, das Maul weit aufgerissen; Gift tropfte noch von den doppelten Fangzähnen – klare Tropfen, die im zunehmenden Tageslicht wie Prismen funkelten. Die glasigen Augen glotzten blicklos. Sie hob Ermot hoch, küsste seinen Schuppenmund, leckte das letzte Gift von den freiliegenden Nadeln und weinte dabei die ganze Zeit.
Als Nächstes hob sie mit der anderen Hand den langen und zerfetzten Körper auf und stöhnte angesichts der Löcher, die in Ermots seidige Haut geschossen worden waren; angesichts der Löcher und des zerrissenen roten Fleischs darunter. Zweimal legte sie den Kopf an den Kadaver und murmelte Beschwörungen, aber nichts geschah. Natürlich nicht. Ermot befand sich außer Reichweite ihrer Zaubersprüche. Armer Ermot.
Sie drückte seinen Kopf an die eine alte Hängebrust und seinen Körper an die andere. Während sein letztes Blut ihr Kleid tränkte, sah sie in die Richtung, wohin die verhassten Jungs geritten waren.
»Das zahle ich euch heim«, flüsterte sie. »Bei allen Göttern, die je existiert haben, das zahle ich euch heim. Wenn ihr am wenigsten damit rechnet, wird Rhea zur Stelle sein, und eure Schreie werden euch die Kehlen zerreißen. Habt ihr mich gehört? Eure Schreie werden euch die Kehlen zerreißen!«
Sie kniete noch einen Augenblick an der Stelle, dann stand sie auf, drückte Ermot an ihren Busen und schlurfte zur Hütte zurück.
Kapitel 5
D ER R EGENBOGEN DES Z AUBERERS
1
Am Nachmittag drei Tage nach Rolands und Cuthberts Besuch auf dem Cöos gingen Roy Depape und Clay Reynolds den oberen Flur des Traveller’s Rest entlang zu dem geräumigen Zimmer, das Coral Thorin dort für sich reserviert hatte. Reynolds klopfte. Jonas rief ihm zu, er solle hereinkommen, es sei offen.
Als Depape eintrat, sah er als Erstes Sai Thorin selbst in einem Schaukelstuhl am Fenster. Sie trug ein wattiertes Nachthemd aus weißer Seide und eine rote bufanda auf dem Kopf. Sie hatte Strickzeug auf dem Schoß. Depape sah sie überrascht an. Sie schenkte ihm und Reynolds ein rätselhaftes Lächeln, sagte »Hallo, Gents« und machte sich wieder über ihre Strickarbeit her. Draußen ertönte das Knattern von Feuerwerkskörpern (das Jungvolk konnte nie bis zum großen Tag warten; wenn sie Kracher in Händen hatten, dann hatten sie auch ein Streichholz, um sie anzuzünden), das unruhige Wiehern eines Pferdes und das ausgelassene Gelächter von Jungen.
Depape drehte sich zu Reynolds um, der die Achseln zuckte und dann mit überkreuzten Armen die Aufschläge seines Mantels zuhielt. Auf diese Weise drückte er Zweifel oder Missfallen aus, oder beides.
»Probleme?«
Jonas stand an der Tür zum Bad und wischte sich mit dem Ende des Handtuchs, das er über der Schulter hängen hatte, Rasierschaum vom Gesicht. Er war bis zur Taille nackt. Depape hatte ihn schon oft so
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