Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
hätte.
Nicht schlecht, dachte sie. Jetzt sollte ich auch noch die anderen anwerfen.
Sie fragte sich jedoch, ob die Zeit dafür reichen würde. Immer mehr Brecher griffen bereits Dinkys Vorschlag auf, wiederholten ihn und verstärkten ihn dabei:
( MIT ERHOBENEN HÄNDEN NACH SÜD! NICHTS WIRD EUCH DANN GESCHEH’N! )
Um der Aufforderung Nachdruck zu verleihen, schob sie den Stellschieber der Coyote auf DAUERFEUER und durchsiebte dann das Obergeschoss des nächsten Wohnheims mit einem langen Feuerstoß. Geschosse surrten als Querschläger davon. Fensterglas zersplitterte. Brecher stoben kreischend und mit erhobenen Händen um die Ecke von Damli House davon. Susannah sah Ted um dieselbe Ecke kommen. Er war schwer zu übersehen, weil er sich gegen den Strom bewegte. Dinky und er umarmten sich kurz, dann hoben sie die Hände und schlossen sich dem südwärts gerichteten Strom von Brechern an, die bald ihren VIP-Status verlieren und nur eine weitere Gruppe von Flüchtlingen bilden würden, die in einem dunklen, vergifteten Land zu überleben versuchten.
Sie hatte acht erledigt, aber das reichte nicht. Der Hunger hatte sie befallen, dieser nackte Hunger. Ihre Augen sahen alles. Sie pulsierten und schmerzten in ihrem Kopf, aber sie sahen alles. Susannah hoffte, dass weitere Taheen, niedere Männer oder Hume-Wachen hinter Damli House hervorkommen würden.
Sie wollte mehr.
13
Sheemie Ruiz lebte im Wohnheim Corbett Hall, ausgerechnet in dem Gebäude, das Susannah völlig nichtsahnend mit mindestens hundert Kugeln durchsiebt hatte. Hätte er auf dem Bett gelegen, wäre er höchstwahrscheinlich tödlich getroffen worden. Stattdessen lag er nun am Fußende auf den Knien und betete um die Sicherheit seiner Freunde. Er sah nicht einmal auf, als Schüsse das Fenster zersplittern ließen, sondern verdoppelte lediglich die Intensität seines Flehens. Er konnte Dinkys Gedanken in seinen Kopf hämmern hören
( MIT ERHOBENEN HÄNDEN )
und hörte dann weitere Gedankenströme
( NACH SÜD )
die alle miteinander einen gewaltigen Fluss bildeten. Und dann war Teds Stimme zu hören, die nicht nur in den Chor der anderen einfiel, sondern diesen Fluss
( NICHTS WIRD EUCH DANN GESCHEH’N )
zu einem Ozean werden ließ. Ohne es wahrzunehmen, hatte Sheemie den Text seines Gebets abgeändert. Aus Vater unser und Beschütz meine Freunde wurde Mit erhobenen Händen … nach Süd … nichts wird euch dann geschehen. Damit hörte er nicht einmal auf, als die Propangastanks hinter der Kantine von Damli House mit ohrenbetäubendem Lärm hochgingen.
14
Gangli Tristum (für euch Doktor Gangli, sage meinen Dank) war in vieler Beziehung der gefürchtetste Mann in Damli House. Er war ein Can-Toi, der – verrückterweise – statt eines Menschennamens einen Taheennamen angenommen hatte, und führte das Krankenrevier im Westflügel des Gebäudes mit eiserner Faust. Und auf Rollschuhen.
Die Atmosphäre im Krankenrevier war ziemlich entspannt, wenn Gangli in seinem Büro saß, um Papierkram zu erledigen, oder seine Runde machte (meistens um Brecher, die erkältet waren, in ihren Wohnheimen zu besuchen), aber wenn er herauskam, verfiel das gesamte Revier – Krankenschwestern und Krankenpfleger ebenso wie Patienten – in respektvolles (und nervöses) Schweigen. Ein Neuankömmling hätte beim Anblick dieses vierschrötigen, dunkelhäutigen Mannes mit Hamsterbacken, der mit auf der Brust gefalteten Händen, die auf seinem Stethoskop ruhten, und wehenden weißen Mantelschößen langsam den Mittelgang zwischen den Bettreihen entlangglitt, vielleicht gelacht (ein Brecher hatte einmal geäußert: »Er sieht aus wie John Irving nach einer verunglückten Schönheitsoperation«), Wäre allerdings jemand beim Lachen erwischt worden, hätte derjenige nie wieder gelacht. Dr. Gangli konnte in der Tat schnelle Urteile sprechen, und niemand machte sich ungestraft über seine Rollschuhe lustig.
Statt auf ihnen zu gleiten, flog er jetzt geradezu die Gänge hinauf und hinunter, dass die Stahlrollen (seine Rollschuhe stammten nämlich aus einer Zeit lange vor Rollerblades) über den Hartholzboden rumpelten. »Sämtliche Akten!«, rief er. »Habt ihr verstanden? … Wenn in diesem beschissenen Durcheinander eine einzige Krankenakte verschwindet, eine einzige götterverdammte Akte, lasse ich mir zum Nachmittagstee jemands Augen servieren!«
Die Patienten waren natürlich bereits alle fort; er hatte sie beim ersten Ton des Rauchmelders, beim
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