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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hier, und sie haben selbst diese Tür zugeschlagen, und Sie glauben, daß sie sie erst wieder aufmachen werden, wenn es für Sie Zeit ist, dort einzutreten; ist es nicht so?«
    »Was sind Sie, betrunken?«
    »Mistah Norton tot«, intonierte der Mann in Schwarz sardonisch. »Tot wie alle. Tot wie Sie und alle anderen.«
    »Verlassen Sie mein Lokal.« Sie spürte bebende Abscheu in sich emporsteigen, aber von ihrem Unterleib strahlte immer noch Wärme aus.
    »Schon gut«, sagte er leise. »Schon gut. Warten Sie. Warten Sie nur ab.«
    Seine Augen waren blau. Plötzlich verspürte sie eine große geistige Ruhe, als hätte sie eine Droge genommen.
    »Sehen Sie?« fragte er sie. »Sehen Sie?«
    Sie nickte benommen, und er lachte laut – ein prächtiges, kräftiges, unverdorbenes Lachen, bei dem sich Köpfe herumdrehten. Er wirbelte herum und sah sie an, und plötzlich war er durch eine unbekannte Alchemie zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geworden. Tante Mills Stimme versagte und verstummte, ein brüchiger hoher Ton blutete in die Luft. Sheb schlug einen dissonanten Akkord an und hörte auf zu spielen. Sie sahen den Fremden unbehaglich an. Sand prasselte gegen die Seitenwände des Hauses.
    Die Stille dauerte an, breitete sich aus. Der Atem stockte ihr in der Kehle, sie sah an sich hinab und stellte fest, daß sie unter der Theke beide Hände an den Unterleib gepreßt hatte. Sie sahen ihn alle an, und er sah sie an. Dann ertönte das Lachen wieder, kräftig, volltönend und unbestreitbar. Aber es bestand kein Drang, mit ihm zu lachen.
    »Ich werde euch ein Wunder zeigen!« rief er ihnen zu. Aber sie sahen ihn nur wie gehorsame Kinder an, die mitgenommen worden waren, um einen Zauberkünstler zu sehen, an den sie aufgrund ihres Alters nicht mehr glauben konnten.
    Der Mann in Schwarz sprang vorwärts, und Tante Mill wich vor ihm zurück. Er grinste diabolisch und schlug ihr heftig auf den feisten Bauch. Ein kurzes, unabsichtliches Kichern entrang sich ihr, und der Mann in Schwarz warf den Kopf zurück.
    »Es ist besser, nicht?«
    Tante Mill kicherte erneut, brach plötzlich in Schluchzen aus und floh durch die Tür. Die anderen verfolgten ihren Abgang stumm. Der Sturm fing an; Schatten folgten einander und schwollen auf dem weißen Zyklorama des Himmels an und ab. Ein Mann beim Klavier, der ein vergessenes Bier in der Hand hielt, gab einen stöhnenden, grinsenden Laut von sich.
    Der Mann in Schwarz stand über Nort und grinste auf ihn herab. Der Wind heulte und kreischte und tobte. Etwas Großes prallte an die Seitenwand des Hauses und wirbelte davon. Einer der Männer an der Theke riß sich los und ging mit schlingernden grotesken Schritten hinaus. Donner krachte in plötzlichen trockenen Salven.
    »Also gut«, grinste der Mann in Schwarz. »Also gut, fangen wir an.«
    Er fing an, Nort ins Gesicht zu spucken, wobei er sorgfältig zielte. Die Spucke glitzerte auf seiner Stirn und lief die glatte Hakennase hinunter.
    Ihre Hände unter der Theke arbeiteten heftiger.
    Sheb lachte wie ein Irrer und klappte zusammen. Er fing an, Schleim zu husten, große Klumpen, die er ungeniert ausspie. Der Mann in Schwarz brüllte zustimmend und schlug ihm auf den Rücken. Sheb grinste, ein Goldzahn funkelte. Einige gingen. Andere bildeten einen lockeren Kreis um Nort. Auf dem Gesicht und den Hahnenkammfalten von Doppelkinn, Hals und Brust glänzte Flüssigkeit – Flüssigkeit, die in diesem trockenen Land so wertvoll war. Und plötzlich hörte es auf, wie auf ein Zeichen. Man hörte abgehacktes, keuchendes Atmen.
    Plötzlich schnellte der Mann in Schwarz über den Leichnam, er machte eine Hechtbeuge, die zu einem anmutigen Bogen geriet. Es war schön, wie ein Wasserstrahl. Er landete auf den Händen, sprang mit einer Drehung auf die Beine, grinste und schnellte wieder zurück. Einer der Zuschauer vergaß sich selbst, applaudierte und wich plötzlich mit von Entsetzen umwölkten Augen zurück. Er schlug eine Hand vor den Mund und hastete zur Tür.
    Als der Mann in Schwarz zum dritten Mal über ihn sprang, zuckte Nort zusammen.
    Ein Geräusch lief durch die Menge – ein Raunen –, dann waren sie wieder still. Der Mann in Schwarz warf den Kopf zurück und heulte. Seine Brust bewegte sich mit einem raschen, flachen Rhythmus, während er Luft einsog. Er sprang immer schneller hin und her und glitt über Norts Leichnam wie Wasser, das von einem Glas in ein anderes gegossen wird. Die einzigen Geräusche in dem Raum waren das reißende Keuchen

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