Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Produktnamen auf den Sweatshirts, die im Chor singenden Stimmen, die angebotene heiße Schokolade und die Nacht für Nacht wachsende Panik im Blick der beiden zu erwähnen. Sie selbst begreife noch immer nicht, was der Traum, den sie ihr schickten, ihr zeigen sollte.
»Warum hast du mir nicht schon früher von diesem Traum erzählt?«, fragte Roland. »Warum hast du nicht um Hilfe bei seiner Deutung gebeten?«
Sie betrachtete ihn gelassen und sagte sich, es sei richtig gewesen, ihn nicht um Hilfe zu bitten. Ja … unabhängig davon, wie sehr ihn das kränken mochte. »Du hast schon zwei Gefährten verloren. Wie begierig wärst du gewesen, auch mich zu verlieren?«
Er lief rot an. Das war selbst im Feuerschein zu erkennen. »Du sprichst schlecht von mir, Susannah, und hast noch Schlechteres gedacht.«
»Schon möglich«, sagte sie. »Wenn ja, erflehe ich deine Verzeihung. Ich wusste selbst nicht recht, was ich wollte. Ein Teil meines Ichs will nämlich den Turm sehen. Das wünscht dieser Teil sich sehr dringend. Und selbst wenn Patrick die nichtgefundene Tür ins Dasein rufen kann, indem er sie zeichnet, und ich sie öffnen kann, führt sie nicht in die wirkliche Welt. Das sollen die Produktnamen auf den Sweatshirts besagen, dessen bin ich mir sicher.«
»So darfst du nicht denken«, sagte Roland. »Die Realität ist selten eine Schwarz-Weiß-Sache, glaube ich, eine Frage von Schein und Wirklichkeit, von Sein und Nichtsein.«
Patrick trompetete einen Schrei, und sie sahen beide zu ihm hinüber. Er hielt den Block ihnen zugekehrt hoch, damit sie sehen konnten, was er gezeichnet hatte. Eine perfekte Wiedergabe der nichtgefundenen Tür, wie Susannah fand. Die Aufschrift DER KÜNSTLER fehlte zwar, und der Türknopf bestand aus glattem Metall – ohne mit gekreuzten Bleistiften geschmückt zu sein –, aber das war in Ordnung. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, diese Einzelheiten zu erwähnen, die allein ihrem besseren Verständnis hatten dienen sollen.
Sie haben alles getan, außer mir eine Karte zu zeichnen, dachte Susannah. Sie fragte sich, weshalb alles immer so verdammt schwierig, so verdammt
(dreimal darfst du raten)
schleierhaft sein musste, und war sich bewusst, dass das eine Frage war, auf die sie nie eine zufrieden stellende Antwort finden würde … außer dass dies eben zum Menschsein gehörte, nicht wahr? Wirklich wichtige Antworten waren nie leicht zu bekommen.
Patrick stieß einen weiteren seiner trompetenden Schreie aus. Diesmal klang er fragend. Susannah wurde plötzlich klar, dass der arme Junge vor ängstlicher Erwartung beinahe starb, und konnte man ihm das verdenken? Er hatte gerade seine erste Auftragsarbeit fertig gestellt und wollte nun wissen, was seine Patrona dell’arte davon dachte.
»Das Bild ist großartig, Patrick – Spitze!«
»Ja«, stimmte Roland zu, indem er nach dem hingehaltenen Zeichenblock griff. Er fand, dass die Tür genau wie die aussah, auf die er gestoßen war, als er vom giftigen Biss des Monsterhummers im Sterben lag und im Delirium über den Strand des Westlichen Meeres getorkelt war. Es war, als hätte dieses arme zungenlose Geschöpf ihm in den Kopf geblickt und darin ein richtiges Bild der Tür gesehen – eine Fottergrafie.
Susannah sah sich inzwischen verzweifelt um. Als sie sich auf ihre Hände gestützt der Grenze des Feuerscheins näherte, musste Roland sie scharf zurückrufen, sie daran erinnern, dass dort draußen Mordred lauern konnte – und dass die Dunkelheit Mordreds Verbündete war.
Trotz ihrer Ungeduld kehrte sie sofort in den Feuerschein zurück, weil sie sich nur allzu gut daran erinnerte, was Mordreds leiblicher Mutter zugestoßen und wie schnell das alles passiert war. Trotzdem schmerzte dieser Rückzug, tat fast körperlich weh. Roland hatte ihr mitgeteilt, dass er damit rechne, gegen Ende des kommenden Tages den ersten Blick auf den Dunklen Turm werfen zu können. Wenn sie dann noch bei ihm war, sah sie den Turm mit ihm, konnte seine Macht – sein Glammer – sich als zu stark für sie erweisen. Hätte sie sich jetzt zwischen Tür und Turm entscheiden müssen, hätte sie vorerst weiterhin die Tür gewählt, das wusste sie. Aber wenn sie dem Turm näher kamen und seine Macht gewaltiger, sein Pulsieren in ihrem Verstand tiefer und zwingender, die singenden Stimmen immer lieblicher wurden, würde es zunehmend schwieriger werden, sich für die Tür zu entscheiden.
»Ich sehe sie nicht«, sagte sie verzweifelt. »Vielleicht habe ich
Weitere Kostenlose Bücher