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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war für einige Zeit vergessen. Es gab nur noch Rolands Stimme, die sich hob und senkte.
    So wie der Wind anschwoll und abklang.
    »Nicht lange nach dem Tod meiner Mutter, die – wie ihr wisst – durch meine Schuld gestorben ist …«

Der Fellmann
(Teil 1)

Nicht lange nach dem Tod meiner Mutter, die – wie ihr wisst – durch meine Schuld gestorben ist, ließ mein Vater Steven, Sohn von Henry dem Langen, mich in sein Arbeitszimmer im Nordflügel des Schlosses kommen. Es war ein kleiner, kalter Raum. Ich erinnere mich, wie der Wind um die schmalen, hohen Fenster heulte. Ich erinnere mich an die übervollen wandhohen Regale mit Büchern – ein Vermögen wert, aber nie gelesen. Jedenfalls nicht von ihm. Und ich erinnere mich an den schwarzen Trauerkragen, den er genau wie ich trug. Jeder Mann in Gilead trug einen solchen Kragen oder einen Trauerflor am Ärmel. Die Frauen trugen ihrerseits schwarze Haarnetze. Das sollten sie so lange tun, bis Gabrielle Deschain ein halbes Jahr in ihrem Grab geruht hatte.
    Ich grüßte ihn mit an die Stirn gelegter Faust. Er sah zwar nicht von den Papieren auf seinem Schreibtisch auf, aber ich wusste, dass er meinen Gruß mitbekommen hatte. Mein Vater sah alles – und das sehr gut. Ich wartete. Während der Wind heulte und die Raben auf dem Schlossdach krächzten, unterzeichnete er mehrere Schriftstücke. Der offene Kamin war eine leere Höhle. Er ließ auch an den kältesten Tagen nur selten ein Feuer entfachen.
    Schließlich sah er auf.
    »Wie geht es Cort, Roland? Wie geht es deinem ehemaligen Lehrer? Das solltest du ja wissen, denn immerhin verbringst du deine Zeit größtenteils in seiner Hütte, um ihn zu füttern und zu versorgen, wie ich höre.«
    »Es gibt Tage, an denen er mich erkennt«, sagte ich. »An vielen anderen nicht. Mit dem einen Auge kann er noch ein wenig sehen. Das andere …« Ich brauchte nicht weiterzusprechen. Das andere fehlte. Mein abgerichteter Falke David hatte es ihm bei meiner Mannbarkeitsprüfung ausgehackt. Cort hatte David im Gegenzug erlegt, aber das war sein letzter Sieg gewesen.
    »Ich weiß, was mit dem anderen geschehen ist. Fütterst du ihn wirklich?«
    »Aye, Vater, das tue ich.«
    »Machst du ihn sauber, wenn er sich schmutzig macht?«
    Ich stand vor seinem Schreibtisch wie ein schuldbewusster Schuljunge, der zum Direktor gerufen worden war, und fühlte mich genauso. Aber wie viele Schuljungen hatten schon die eigene Mutter erschossen?
    »Antworte, Roland! Ich bin dein Dinh, nicht nur dein Vater, und verlange eine Antwort!«
    »Manchmal.« Was nicht ganz gelogen war. Oft wechselte ich seine schmutzigen Windeln drei- bis viermal täglich; an guten Tagen jedoch nur einmal oder auch gar nicht. Er konnte noch aufs Klo gehen, wenn ich ihn führte. Und wenn er daran dachte, dass er musste.
    »Hat er keine weißen Ammies, die ihn pflegen?«
    »Ich habe sie weggeschickt«, sagte ich.
    Er betrachtete mich neugierig. Ich suchte Verachtung in seiner Miene – irgendwie wollte ich sie sehen –, aber ich konnte keine erkennen. »Habe ich dich zum Revolvermann erzogen, damit du eine Ammie wirst und einen gebrochenen alten Mann pflegst?«
    Ich spürte Zorn in mir aufsteigen. Cort hatte Scharen von jungen Männern in der Tradition des Elds und im Waffengebrauch ausgebildet. Die Unwürdigen hatte er im Zweikampf besiegt und nach Westen geschickt, wo sie sich ohne Waffen, nur mit ihren verbliebenen Geistesgaben, durchschlagen mussten. Dort – in Cressia und an anderen Orten, die noch tiefer in jenen anarchischen Baronien lagen – hatten viele dieser gescheiterten Jungen sich Farson, dem Guten Mann, angeschlossen. Der alles einreißen wollte, was die Vorfahren meines Vaters geschaffen hatten. Farson hatte sie jedenfalls bewaffnet. Er besaß die Waffen für sein großes Vorhaben.
    »Würdest du ihn auf den Misthaufen werfen wollen, Vater? Soll das sein Lohn für seine langjährigen Dienste sein? Und wer kommt als Nächster dran? Etwa Vannay?«
    »In diesem Leben nicht, wie du recht gut weißt. Aber geschehen ist geschehen, Roland, wie du ebenfalls weißt. Und du pflegst ihn nicht aus Liebe. Auch das weißt du.«
    »Ich pflege ihn aus Respekt!«
    »Wäre es nur Respekt, würdest du ihn zwar besuchen und ihm vorlesen – immerhin liest du recht gut, wie deine Mutter stets gesagt hat, und in diesem Punkt hat sie wahr gesprochen –, aber du würdest ihn weder sauber machen noch ihm die Bettwäsche wechseln. Du geißelst dich für den Tod deiner Mutter,

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