Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
dass er vielleicht noch ein, zwei Nächte am Eisenholzpfad bleibt. Vielleicht sollte ich …«
Die Hand, die eben noch beruhigend gestreichelt hatte, umschloss jetzt Tims Handgelenk an der dünnsten Stelle und packte schmerzhaft fest zu. »Daran darfst du nicht einmal denken! Hat er nicht schon genug angerichtet?«
»Was sagt Ihr da? Dass er an allem schuld ist? Es war Kells, der meinen Da’ ermordet hat, und es war Kells, der meine Mama zusammengeschlagen hat!«
»Aber es war der Zöllner, der dir den Schlüssel gegeben hat, und niemand weiß, was er sonst noch getan hat. Oder tun würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekäme, denn er hinterlässt Tränen und Verderben, wohin er auch geht – und das seit undenklichen Zeiten. Glaubst du, dass die Leute ihn nur fürchten, weil er die Macht hat, sie auf Wanderschaft zu schicken, wenn sie die von der Baronie erhobene Steuer nicht zahlen können? Nein, Tim, nein.«
»Kennt Ihr seinen Namen?«
»Nay, das brauche ich nicht, weil ich weiß, was er ist – die lebende Seuche. Vor ewigen Zeiten, als er hier etwas Übles veranstaltet hat, was ich einem Jungen nie erzählen würde, hatte ich mir einmal vorgenommen, möglichst viel über ihn in Erfahrung zu bringen. Ich habe an eine große Lady geschrieben, die ich damals in Gilead gekannt habe – eine Frau von Klugheit und Schönheit, eine seltene Kombination –, und habe gutes Silber für einen Boten gezahlt, damit er meinen Brief zustellt und mir die Antwort bringt – die ich auf Bitte meiner Korrespondentin in der großen Stadt verbrennen sollte. Sie schrieb, dass Gileads Zöllner, wenn er nicht gerade zum Zeitvertreib Steuern eintreibe – was darauf hinausläuft, die Tränen vom Gesicht armer arbeitender Leute abzulecken –, als Berater der Palastlords fungiere, die sich als Rat des Elds bezeichneten. Allerdings behaupten nur sie selbst eine Blutsverwandtschaft mit dem Eld. Es hieß, dass er ein großer Zauberer sei, und das mag sogar stimmen. Du hast ja erlebt, wie er seine Magie ausübt.«
»Ja, das habe ich«, sagte Tim, der dabei an das silberne Becken dachte. Und an die Art und Weise, wie Sai Zöllner größer zu werden schien, wenn er zornig war.
»Meine Korrespondentin schrieb, dass manche sogar behaupteten, er sei Maerlyn, der Hofzauberer von Arthur Eld persönlich, denn Maerlyn solle unsterblich sein, ein Wesen, das in der Zeit rückwärts lebe.« Hinter dem Schleier war ein Schnauben zu hören. »Allein bei dem Gedanken daran bekomme ich Kopfschmerzen, denn diese Vorstellung ist ganz sinnlos.«
»Aber Maerlyn war ein weißer Magier, heißt es in den Sagen.«
»Die Leute, die behaupten, der Zöllner sei in Wirklichkeit Maerlyn, sagen auch, er sei durch den Glammer des Regenbogens des Zauberers zum Bösen verwandelt worden, als er ihn in den Jahren vor dem Zusammenbruch des Eldischen Königreichs aufzubewahren hatte. Andere wiederum behaupten, er habe auf seinen Streifzügen nach dem Zusammenbruch bestimmte Artefakte des Alten Volkes entdeckt und sei ihrer Faszination erlegen. Und deshalb sei er seither bis in die Tiefen seiner Seele schwarz. Das soll im Endlosen Wald geschehen sein, heißt es, in dem er weiter ein Zauberhaus habe, in dem die Zeit stillstehe.«
»Klingt nicht allzu wahrscheinlich«, sagte Tim – obwohl ihn die Vorstellung faszinierte, es könnte ein Zau berhaus geben, in dem kein Uhrzeiger sich bewegte, kein Sand durchs Stundenglas rieselte.
»Weil’s ein großer Blödsinn ist!« Und weil sie seinen schockierten Gesichtsausdruck sah, fügte die Witwe hinzu: »Erflehe deine Verzeihung, aber manchmal sind deutliche Worte angebracht. Selbst Maerlyn könnte nicht an zwei Orten gleichzeitig sein – sich im Endlosen Wald an einem Ende der Nördlichen Baronie herumtreiben und am anderen den Lords und Revolvermännern von Gilead dienen. Nay, der Steuereintreiber ist nicht Maerlyn, aber er ist ein Zauberer – ein schwarzer. Das hat die Lady, die einmal meine Schülerin war, gesagt, und ich glaube ihr. Und deshalb darfst du nie wieder in seine Nähe kommen. Wenn er dir etwas Gutes anbietet, ist es sicherlich eine große Lüge.«
Tim dachte darüber nach, dann fragte er: »Wisst Ihr, was eine Sighe ist, Sai?«
»Natürlich. Die Sighe sind Elfen, die tief im Wald leben sollen. Hat der üble Mann davon gesprochen?«
»Nein, sie sind nur in einer Geschichte vorgekommen, die Strohkopf Willem mir neulich bei der Arbeit in der Sägemühle erzählt hat.«
Wieso habe ich jetzt gelogen?
Tief
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