Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
er sonst tun können? Bitsy war ein liebes Tier, aber nicht so klug, allein heimzufinden, obwohl sie schon Hunderte Male auf diesem Pfad unterwegs gewesen war.
»Du kommst schon zurecht«, sagte Tim und tätschelte ihre weichen Nüstern … Aber stimmte das auch? Die Vorstellung, die Witwe könnte in allem recht haben und der erste Beweis dafür stehe nun bevor, ging ihm durch den Kopf. Tim schob sie energisch beiseite.
Er hat mir in allem anderen die Wahrheit gesagt, und er hat auch hier wahr gesprochen.
Bis er weitere drei Räder auf dem Eisenholzpfad zurückgelegt hatte, war er so weit, das zu glauben.
Man sollte bedenken, dass er erst elf war.
In dieser Nacht erspähte er kein Lagerfeuer.
Statt orangerotem Feuerschein, der ihn willkommen geheißen hätte, entdeckte Tim nur ein kaltes grünes Licht, als er sich dem Ende des Eisenholzpfads näherte. Es flackerte, verschwand manchmal ganz, flammte aber immer wieder auf – hell genug, dass es Schatten warf, die sich wie Schlangen um seine Füße zu winden schienen.
Der Pfad – jetzt schlechter zu erkennen, weil die Fahrspuren von Big Ross und Big Kells die einzigen waren – bog links aus, um einen Eisenholzbaum zu umgehen, dessen mächtiger Stamm größer als das größte Haus in Tree war. Etwa hundert Schritte nach dieser Kurve endete der Pfad auf einer Lichtung. Dort standen die Pfosten mit dem Querbalken, an dem das Schild hing. Tim konnte jedes Wort mühelos lesen, denn über der Tafel – von Flügeln getragen, die so schnell schwirrten, dass sie praktisch unsichtbar waren – schwebte die Sighe.
Er trat näher heran. Bei diesem exotischen Anblick hatte er alles andere vergessen. Die kaum handgroße Sighe war nackt und wunderschön. Ob ihr Körper so grün wie das Licht war, das er abstrahlte, war schwer zu beurteilen, weil ihre Helligkeit blendete. Trotzdem konnte er das Lächeln sehen, mit dem sie ihn empfing, und wusste, dass auch sie ihn sehr gut sah, obwohl ihre glänzenden mandelförmigen Augen keine Pupillen hatten. Ihre nicht sehr lauten Flügelschläge machten ein gleichmäßig surrendes Geräusch.
Vom Zöllner war nichts zu sehen.
Die Sighe beschrieb spielerisch einen Kreis, dann tauchte sie in einen Busch ein. Tim war unwillkürlich besorgt, weil er sich vorstellte, ihre feinen Libellenflügel würden von Dornen zerfetzt, aber da kam sie auch schon wieder unverletzt daraus hervor und schraubte sich in einer schwindelerregenden Spirale zehn Manneslängen oder noch mehr in die Höhe – bis zu den untersten Ästen der Eisenholzbäume –, bevor sie dann im Sturzflug auf ihn herabschoss. Tim sah noch, wie sie ihre eleganten Arme nach hinten ausstreckte, sodass sie wie ein Mädchen aussah, das in einen Badesee sprang. Er duckte sich, und als sie so dicht über seinen Kopf hinwegflog, dass sie sein Haar streifte, hörte er ihr leises Lachen. Es klang wie Schellengeläut, das an einem nebligen Morgen aus großer Ferne kam.
Er richtete sich vorsichtig auf und sah, wie sie jetzt in der Luft eine Rolle nach der anderen drehte und zurückkam. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Er glaubte, noch nie etwas so Schönes gesehen zu haben.
Als sie über den Querbalken flog, sah er in ihrem hellen Glühwürmchenlicht einen undeutlich erkennbaren, weitgehend überwachsenen Pfad, der in den Endlosen Wald hineinführte. Sie hob einen Arm. Mit von grünem Feuer glühender Hand gab sie Tim ein Zeichen, ihr zu folgen. Von dieser überirdischen Schönheit und dem einladenden Lächeln wie verzaubert, zögerte Tim nicht lange, unter dem Querbalken hindurchzuschlüpfen, ohne die letzten drei Wörter des von seinem nun toten Vater aufgehängten Warnschilds auch nur anzusehen: REISENDER, GIB ACHT!
Die Sighe blieb auf der Stelle schweben,
bis Tim fast so nahe heran war, sie berühren zu können. Dann schwirrte sie den nur schwach erkennbaren Pfad entlang weiter. In einiger Entfernung schwebte sie wieder auf der Stelle, lächelte und winkte ihn zu sich heran. Ihr Haar fiel ihr bis über die Schultern, verdeckte manchmal ihre kleinen Brüste, flog dann wieder im Sog ihrer Flügelschläge hoch und enthüllte sie.
Als Tim sich ihr zum zweiten Mal näherte, rief er – aber nur leise, weil er fürchtete, lautes Schreien könnte ihre winzigen Trommelfelle platzen lassen. »Wo ist der Zöllner?«
Ein weiteres silberhelles Lachen war ihre einzige Antwort. Sie flog mit bis fast zu den Schultern hochgezogenen Knien zwei Rollen, dann schwirrte sie weiter und sah
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