Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
vielleicht sogar waten, wenn das Wasser seicht genug war –, machten einige der Schlammwesen kehrt und rannten davon. Ein anderer, der größte unter den Sumpfbewohnern, wandte sich Tim zu und streckte beide Hände aus. Das waren Hände, obwohl sie zu viele Finger und wie mit Moos bewachsene grüne Handflächen aufwiesen. Diese Bewegung war klar und deutlich: Warte.
Tim nickte, dann ließ er sich auf dem Inselchen nieder ( wie die kleine Lady Muff auf ihrem Tuff, dachte er) und machte sich daran, von dem Brot zu essen. Dabei achtete er auf das Kielwasser von etwa zurückkehrenden Reptilien und hielt den Vierschüsser bereit. Fliegen und kleine Käfer hatten ihn jetzt gefunden und setzten sich in Scharen auf ihn, um von seinem Schweiß zu trinken, bevor sie wieder fortsummten. Wenn nicht bald etwas geschah, würde Tim ins Wasser springen müssen, damit er von diesen Plagegeistern wegkam. Aber wer wusste schon, was alles in dieser trüben Brühe leben oder im Bodenschlamm umherkriechen mochte.
Als er beim letzten Bissen Brot angelangt war, ließ ein rhythmisches Dröhnen den im Morgennebel liegenden Sumpf erzittern und schreckte weitere Vögel auf. Manche waren überraschend groß, mit rosa Gefieder und langen dünnen Beinen, mit denen sie Wasser traten, bis sie abhoben. In Tims Ohren klangen ihre hohen, klagenden Schreie wie das Lachen von Kindern, die den Verstand verloren hatten.
Irgendwer trommelt auf dem hohlen Baumstamm, den ich mir vorhin gewünscht habe, dachte er. Der Gedanke ließ ihn müde grinsen.
Das Dröhnen hielt eine Weile an, dann verstummte es abrupt. Die Freunde am Ufer starrten in die Richtung, aus der Tim gekommen war – ein noch viel jüngerer Tim, der töricht gelacht und einer bösen Elfe namens Armaneeta gefolgt war. Die Schlammwesen legten die Hände über die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen, die jetzt durchs Laubdach schien und den Morgennebel wegbrannte. Auch dieser Tag würde wieder unnatürlich heiß werden.
Tim hörte ein Plätschern, und wenig später tauchte ein seltsam zusammengeflicktes Boot aus dem sich auflösenden Nebel auf. Es war aus Holzabfällen gebaut, von denen nur die Götter wussten, woher sie stammten. Das Boot lag tief im Wasser und schleppte lange Streifen Moos und Wasserpflanzen hinter sich her. Es hatte einen Mast, aber kein Segel; und als Ausguck diente ein von einem dichten Fliegenschwarm umsummter Wildschweinschädel. Vier Sumpfbewohner arbeiteten mit Stechpaddeln aus einem orangeroten Holz, das Tim nicht kannte. Im Bug stand ein fünfter Mann, dessen Zylinder aus schwarzer Seide mit einem roten Band geschmückt war, das ihm über die nackte Schulter hing. Er sah aufmerksam nach vorn und winkte manchmal links, manchmal rechts. Die Paddler befolgten diese Steuersignale mit einer Geschicklichkeit, die lange Übung verriet, und das Boot wand sich elegant zwischen den kleinen, grünen Inseln hindurch, über die Tim in seine missliche Lage geraten war.
Als das Boot sich der stillen, schwarzen Wasserfläche näherte, wo der Drache sich aufgehalten hatte, bückte sich der Steuermann erst und richtete sich dann vor Anstrengung grunzend wieder auf. In den Armen hielt er einen grauschwarzen Tierkadaver, der vermutlich noch vor Kurzem zu dem Schädel gehört hatte, der jetzt den Mast zierte. Der Steuermann hielt ihn an sich gedrückt, ohne auf das Blut zu achten, das ihm nun über die zottige Brust und die Arme lief, während er aufmerksam ins Wasser starrte. Er stieß einen laut heulenden Schrei aus, dem mehrere kurze Klicklaute folgten. Die anderen vier zogen ihr Paddel aus dem Wasser. Das Boot machte noch etwas Fahrt auf Tim zu, aber der Steuermann sah auch jetzt nicht zu ihm hinüber, sondern starrte weiterhin wie gebannt ins Wasser.
Mit einer Lautlosigkeit, die erschreckender war, als das lauteste Platschen hätte sein können, tauchte auf einmal eine riesige Klaue mit halb geöffneten Krallen aus dem Wasser auf. Sai Steuermann legte den blutigen Wildschweinkadaver so behutsam in diese stumm fordernde Klaue, wie eine Mutter ihren schlafenden Säugling in sein Bettchen legte. Die Krallen schlossen sich um den Kadaver und pressten dabei einige Tropfen Blut heraus, die ins Wasser plätscherten. Dann verschwand die Kralle so lautlos, wie sie erschienen war, und nahm ihren Tribut mit sich.
Ah, ihr wisst, wie man einen Drachen besänftigt!, dachte Tim. Ihm wurde bewusst, dass er staunenswerte Erlebnisse würde schildern können, denen nicht nur der alte Kauz
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