Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
lassen.
Welche? fragte Mort. Der Gedanke war mit der geistigen Farbe von Panik getönt. Mort konnte nichts vor Roland verheimlichen, und Roland konnte nichts vor Mort verheimlichen – jedenfalls nicht lange.
Vor ein paar Jahren – ich weiß nicht, wie vielen – hast du eine junge Frau in einer dieser unterirdischen Haltestellen vor einen Zug geworfen. Dorthin sollst du mich bringen.
Das löste einen kurzen, heftigen Kampf aus. Der Revolvermann siegte, aber es fiel ihm überraschend schwer. Jack Mort war auf seine Weise ebenso zweigeteilt wie Odetta. Er war nicht schizophren, so wie sie; er wußte ganz genau, was er von Zeit zu Zeit tat. Aber er hielt sein heimliches Selbst – den Teil von ihm, der der Mörder war – sorgfältig verborgen, so wie ein Betrüger seine heimliche Beute versteckt halten muß.
Bring mich dorthin, Hund, wiederholte der Revolvermann. Er hob langsam den Daumen vor Morts rechtes Auge. Er war weniger als zwei Zentimeter davon entfernt und bewegte sich immer noch, als Mort aufgab.
Morts rechte Hand bewegte wieder den Hebel am Lenkrad, und dann fuhren sie in Richtung der Haltestelle Christopher Street, wo drei Jahre zuvor der legendäre A-Zug die Beine einer Frau namens Odetta Holmes abgerissen hatte.
10
»Nun sieh sich einer das an«, sagte der Streifenpolizist Andrew Staunton zu seinem Partner, Norris Weaver, als Delevans und O’Mearahs weißblauer Streifenwagen einen halben Block entfernt zum Stillstand kam. Es gab keine Parkplätze, und der Fahrer machte sich auch gar nicht erst die Mühe, einen zu suchen. Er hielt einfach in zweiter Reihe und ließ den Verkehrsstrom hinter sich mühsam Zentimeter für Zentimeter durch das verbliebene Nadelöhr kriechen, gleich einem Blutstrom, der versucht, ein hoffnungslos von Cholesterol verstopftes Herz zu beliefern.
Weaver überprüfte die Nummer auf der rechten Seite neben dem Frontscheinwerfer. 744. Ja, das war die Nummer, die sie über Funk bekommen hatten, richtig.
Das Blinklicht war an, und alles sah koscher aus – bis die Tür aufging und der Fahrer herauskam. Er hatte durchaus einen blauen Anzug an, aber keinen mit goldenen Knöpfen und einem silbernen Abzeichen. Auch seine Schuhe stammten nicht aus dem Polizeibestand, es sei denn, Staunton und Weaver hätten das Rundschreiben nicht bekommen, daß die Dienstschuhe künftig von Gucci geliefert werden würden. Das schien unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher schien, daß dies der Dreckskerl war, der die Polizisten in der Stadt überrumpelt hatte. Er stieg aus und achtete nicht auf das Hupen und Protestieren der Fahrer, die versuchten, an ihm vorbeizukommen.
»Gottverdammt«, hauchte Andy Staunton.
Nur mit äußerster Vorsicht nähern, hatten sie über Funk gesagt. Der Mann ist bewaffnet und extrem gefährlich. Funker hörten sich normalerweise wie die gelangweiltesten Menschen auf Erden an – waren sie auch, soweit Andy Staunton wußte –, aber die beinahe ehrfürchtige Art, wie dieser das Wort extrem betont hatte, hatte sich ihm wie ein Bohrer eingebrannt.
Er zog zum erstenmal in den vier Jahren bei der Streife seine Waffe und sah Weaver an. Weaver hatte ebenfalls gezogen. Die beiden standen etwa dreißig Schritte von der IRT-Treppe entfernt vor einem Feinkostladen. Sie kannten einander schon lange genug, daß sie auf eine Weise aufeinander eingestimmt waren, wie dies nur bei Polizisten und Soldaten der Fall ist. Sie traten ohne ein gesprochenes Wort in die Einfahrt des Delikatessengeschäfts und hielten die Pistolen hoch.
»U-Bahn?« fragte Weaver.
»Ja.« Andy warf einen kurzen Blick auf den Eingang. Die Stoßzeit hatte ihren Höhepunkt erreicht, die Treppe war dicht gedrängt mit Leuten, die zu den Zügen wollten. »Wir müssen ihn sofort erwischen, bevor er in die Nähe der Menge kommen kann.«
»Dann los.«
Sie traten in völliger Übereinstimmung aus der Einfahrt hervor, Revolvermänner, die Roland sofort als gefährlicher als die ersten beiden erkannt haben würde. Zunächst einmal waren sie jünger; und obwohl er es nicht wußte, hatte ihn ein unbekannter Funker als extrem gefährlich eingestuft, und das machte ihn für Andy Staunton und Norris Weaver zum Äquivalent eines wilden Tigers. Wenn er nicht in dem Augenblick stehen bleibt, wenn ich es ihm sage, ist er tot, dachte Andy.
»Stehenbleiben!« schrie er und sackte mit vor sich ausgestreckter Waffe in eine kauernde Haltung. Weaver neben ihm hatte dasselbe getan. »Polizei! Nehmen Sie die Hände an den
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