Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ihn beinahe um.
    Ein feiner Instinkt brachte den Revolvermann aus dem Schlaf in die samtene Dunkelheit zurück, welche sich mit Einbruch der Dämmerung wie ein Leichentuch aus Brunnenwasser über sie gesenkt hatte. Das war gewesen, als er und Jake die grasbewachsene, beinahe ebene Oase über dem ersten Wall des zerklüfteten Vorgebirges erreicht hatten. Selbst auf dem kahlen Felsen darunter, wo sie unter der mörderischen Sonne um jeden Fußbreit gekämpft und gerungen hatten, hatten sie das Zirpen von Grillen hören können, die im ewigen Grün der Weidenhaine über ihnen verführerisch die Beine aneinander gerieben hatten. Der Revolvermann hatte seinen kühlen Kopf bewahrt, und der Junge hatte immerhin die vorgebliche Fassade aufrechterhalten, und das hatte den Revolvermann stolz gemacht. Aber Jake hatte den wilden Blick seiner Augen nicht verheimlichen können, die weiß und glasig gewesen waren, die Augen eines Pferdes, das Wasser wittert und lediglich von dem schwachen Zügel des Verstandes seines Herrn am Durchgehen gehindert wird; eines Pferdes an dem Punkt, an dem nur noch Verständnis und nicht die Sporen es zurückhalten können. Der Revolvermann konnte Jakes Verlangen anhand des Irrsinns ermessen, den das Zirpen der Grillen in seinem eigenen Körper erweckte. Seine Arme schienen nach Schiefer zu suchen, auf dem sie kratzen konnten, und seine Knie schienen darum zu flehen, zu winzigen, in den Wahnsinn treibenden salzigen Wunden zerfetzt zu werden.
    Die Sonne hämmerte die ganze Zeit auf sie herunter; selbst als sie bei Sonnenuntergang ein geschwollenes, fiebriges Rot angenommen hatte, schien sie auf perverse Weise durch einen Einschnitt in den Felsen links von ihnen, blendete sie und verwandelte jeden Schweißtropfen in ein Prisma der Schmerzen.
    Dann fing das Gras an: anfangs nur gelbe Büschel, die sich dort an dem kargen Boden festklammerten, wo die letzten des Entscheidungskampfes mit ihrem ungebrochenen Lebenswillen hingelangt waren. Weiter oben folgte Hexengras, erst spärlich, dann grün und saftig… dann der erste süße Geruch von echtem Gras, vermischt mit Thimoteusgras und von ersten Krüppelkiefern überschattet. Dort erblickte der Revolvermann geschmeidige braune Bewegungen im Schatten. Er zog, schoß und tötete das Kaninchen, noch bevor Jake seine Überraschung hatte hinausschreien können. Einen Augenblick später hatte er die Pistole wieder ins Halfter gesteckt.
    »So«, sagte der Revolvermann. Vor ihnen verdichtete sich das Gras zu einem Dschungel grüner Weiden, der nach der ausgedörrten Sterilität der endlosen Wüstenkruste etwas Schockierendes hatte. Dort war sicher eine Quelle, vielleicht sogar mehrere, und es würde noch kühler sein, aber hier, im offenen Gelände, war es besser. Der Junge hatte sich jeden Schritt, den er konnte, vorangeschleppt, und möglicherweise lebten Vampirfledermäuse in den tiefen Schatten des Hains. Die Fledermäuse konnten den Schlaf des Jungen stören, wie tief er auch immer schlafen mochte, und wenn es tatsächlich Vampire waren, dann wachte möglicherweise keiner von ihnen mehr auf… jedenfalls nicht in dieser Welt.
    Der Junge sagte: »Ich gehe Holz holen.«
    Der Revolvermann lächelte. »Nein, das wirst du nicht tun. Setz dich, Jake.« Wessen Ausdruck war das? Der irgendeiner Frau.
    Der Junge setzte sich. Als der Revolvermann zurückkam, war Jake im Gras eingeschlafen. Eine große Gottesanbeterin führte auf der drahtigen Krümmung von Jakes Stirnlocke ihre Reinigungszeremonien aus. Der Revolvermann entfachte das Feuer und machte sich auf die Suche nach Wasser.
    Der Weidendschungel war tiefer, als er vermutet hatte, und verwirrend im abendlichen Licht. Aber er fand eine Quelle, die von Fröschen und Singvögeln in großer Schar bewacht wurde. Er füllte einen ihrer Wasserschläuche… und hielt inne. Die Geräusche, welche die Nacht erfüllten, weckten eine unbehagliche Sinnlichkeit in ihm, ein Gefühl, das nicht einmal Allie, die Frau, mit der er in Tull das Bett geteilt hatte, zum Vorschein hatte bringen können. Sinnlichkeit und das Ficken sind schließlich Vettern von allerdünnster Verwandtschaftsbeziehung. Er schrieb es dem unvermittelten, grellen Kontrast zur Wüste zu. Das Dunkel schien so weich, daß es fast dekadent war.
    Er kehrte zum Lager zurück und zog das Kaninchen ab, während das Wasser über dem Feuer kochte. In Verbindung mit ihren letzten Konservendosen ergab das Kaninchen einen herrlichen Eintopf. Er weckte Jake und sah ihm zu,

Weitere Kostenlose Bücher