Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
wie er übermüdet, aber heißhungrig aß.
»Wir bleiben morgen hier«, sagte der Revolvermann.
»Aber der Mann, hinter dem du her bist… der Priester.«
»Er ist kein Priester. Und keine Bange, wir erwischen ihn.«
»Woher weißt du das?«
Der Revolvermann konnte nur den Kopf schütteln. Das Wissen in ihm war stark… aber es war kein gutes Wissen.
Nach dem Essen spülte er die Dosen, aus denen sie gegessen hatten (und staunte wieder über seine eigene Wasserverschwendung), und als er sich umdrehte, war Jake schon wieder eingeschlafen. Der Revolvermann verspürte wieder das mittlerweile altbekannte An- und Abschwellen in seiner Brust, das er nur mit Cuthbert identifizieren konnte. Cuthbert war in Rolands Alter gewesen, schien jedoch viel jünger zu sein.
Seine Zigarette sank in Richtung Gras, und er schnippte sie ins Feuer. Er sah es an, das klare gelbe Lodern, das sich so sehr davon unterschied, wie das Teufelsgras brannte. Die Luft war herrlich kühl, und er legte sich mit dem Rücken zum Feuer. Durch den Einschnitt, der ins Gebirge hineinführte, vernahm er die belegte Stimme des fernen, ewigen Donners. Er schlief ein. Und träumte.
Susan, seine Geliebte, starb vor seinen Augen:
Sie starb, während er zusah; zwei Dorfbewohner hielten ihn auf beiden Seiten fest, sein Hals steckte wie der eines Hundes in einem breiten rostigen Halsband aus Eisen. Roland konnte die klamme Feuchtigkeit der Grube sogar durch den starken Gestank des Feuers riechen… und er konnte die Farbe seines eigenen Wahnsinns erkennen. Susan, das liebreizende Mädchen am Fenster, die Tochter des Pferdekutschers. Sie wurde in den Flammen schwarz, ihre Haut platzte auf.
»Der Junge!« schrie sie. »Roland, der Junge!«
Er wirbelte herum und riß seine Häscher mit sich. Der Kragen riß ihm den Hals auf und er hörte die würgenden, erstickten Laute, die aus seiner eigenen Kehle kamen. Der ekelerregende Geruch verbrannten Fleisches hing schwer in der Luft.
Der Junge sah aus einem Fenster hoch über dem Burghof zu ihm herab, demselben Fenster, an dem Susan, die ihn gelehrt hatte, ein Mann zu sein, einst gesessen und die alten Lieder gesungen hatte; »Hey Jude« und »Ease on Down the Road« und »A Hundred Leagues to Banberry Cross«. Er sah aus dem Fenster heraus wie die Alabasterstatue eines Heiligen in einer Kathedrale. Seine Augen waren aus Marmor. Ein Pfahl war durch Jakes Stirn geschlagen worden.
Der Revolvermann spürte den erstickenden, schneidenden Schrei, der den Anfang seines Wahnsinns bedeutete, aus der Wurzel seines Magens emporsprießen.
»Nnnnnnnnnnn…«
Roland stieß einen grunzenden Schrei aus, als er spürte, wie das Feuer ihn versengte. Er saß kerzengerade in der Dunkelheit und spürte immer noch den Traum um sich herum, der ihn würgte wie der Kragen, den er getragen hatte. Er hatte sich hin und her gewälzt und dabei eine Hand in die erlöschenden Kohlen des Feuers fallen lassen. Er legte die Hand ans Gesicht, spürte den Traum entschwinden, sah nur noch das deutliche Bild des alabasterweißen Jake, ein Heiliger für die Dämonen.
»Nnnnnnnnnnn…«
Er sah in die geheimnisvolle Dunkelheit des Weidenhains und hielt beide Pistolen schußbereit. In der letzten Glut des Feuers waren seine Augen rote Sehschlitze.
»Nnnnnn-nnn…«
Jake.
Der Revolvermann sprang auf und lief los. Eine verbitterte Mondsichel war aufgegangen, und er konnte den Spuren des Jungen im Tau folgen. Er duckte sich unter der ersten Weide hindurch, stapfte durch die Quelle und erklomm das gegenüberliegende Ufer, wo er in der Feuchtigkeit ausrutschte (was sein Körper sogar jetzt genießen konnte). Weidengerten schlugen ihm ins Gesicht. Hier standen die Bäume dichter, der Mond war verdeckt. Baumstämme ragten in lauernden Schatten empor. Das jetzt kniehohe Gras peitschte gegen ihn. Halbverfaulte abgestorbene Zweige griffen nach seinen Schienbeinen, seinen cojones . Er hielt einen Augenblick inne, hob den Kopf und schnupperte in der Luft. Der Geist eines Lüftchens half ihm. Der Junge roch natürlich nicht gut, das tat keiner der beiden. Die Nasenflügel des Revolvermannes blähten sich wie die eines Affen. Der Schweißgeruch war schwach, ölig, unmißverständlich. Er stapfte durch eine Grube voll Gras, Brombeersträuchern und herabgefallenen Ästen und sprintete einen Tunnel überhängender Weiden und Sumach entlang. Moos fiel ihm auf die Schultern. Einiges blieb in seufzenden, grauen Ranken an ihm kleben.
Er brach durch die
Weitere Kostenlose Bücher