Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
hin, oder ich puste dir dein verdammtes Gehirn weg.«
»Nein.«
»Die weitere Entwicklung dieser Lage dürfte sich großartig gestalten«, sagte Cuthbert fröhlich… obwohl man seinem Geplänkel inzwischen die angespannten Nerven anhörte. Keine Angst, vielleicht nicht einmal richtige Nervosität, nur etwas angespannte Nerven. Und wahrscheinlich, dachte Jonas gallig, nicht einmal überstrapazierte. Er hatte diese Jungen einfach unterschätzt; das immerhin stand nun fest. »Sie erschießen Richard, Richard schneidet Mr. Mantel die Kehle durch, während Mr. Mantel mich erschießt und meine armen sterbenden Finger die Schleuder freigeben und eine Stahlkugel durch das jagen, was als Mr. Brillenschlanges Gehirn gelten mag. Sie wenigstens werden unbeschadet davonkommen, und ich nehme an, das wird ein großer Trost für Ihre toten Freunde sein.«
»Nennen wir es ein Unentschieden«, sagte Alain zu dem Mann, der ihm die Waffe an die Schläfe hielt. »Wir ziehen uns alle zurück und gehen unserer Wege.«
»Nein, Freundchen«, sagte Jonas. Seine Stimme klang geduldig, und er glaubte nicht, dass man ihr den Zorn anhörte, aber der Zorn schwoll an. Götter, derart bloßgestellt zu werden, und sei es nur vorübergehend! »Niemand springt so mit den Großen Sargjägern um. Das ist eure letzte Chance, zu…«
Etwas Hartes und Kaltes und völlig Unmissverständliches wurde gegen Jonas’ Hemd gedrückt, mitten zwischen die Schulterblätter. Er wusste sofort, was es war und wem es gehörte, und wusste auch, dass das Spiel verloren war, konnte aber nicht begreifen, wie es zu dieser lächerlichen, ihn rasend machenden Wendung der Ereignisse hatte kommen können.
»Stecken Sie die Waffe weg«, sagte die Stimme hinter der scharfen Metallspitze. Sie klang irgendwie leer – nicht nur ruhig, sondern geradezu emotionslos. »Sofort, sonst bohre ich Ihnen das hier ins Herz. Kein weiteres Wort. Der Worte sind genug gewechselt. Tun Sie’s oder sterben Sie.«
Jonas hörte zweierlei aus dieser Stimme heraus: Jugend und Wahrhaftigkeit. Er steckte die Waffe ein.
»Sie mit dem schwarzen Haar. Nehmen Sie die Waffe aus dem Ohr meines Freundes, und stecken Sie sie ins Holster. Sofort.«
Das musste man Clay Reynolds nicht zweimal sagen, und er stieß einen langen, bebenden Stoßseufzer aus, als Alain ihm das Messer von der Kehle nahm und einen Schritt zurücktrat. Cuthbert drehte sich nicht um, sondern stand weiterhin mit gespannter Schleuder und angewinkeltem Ellbogen da.
»Sie da an der Bar«, sagte Roland. »Ins Holster damit.« Depape gehorchte und verzog vor Schmerzen das Gesicht, als er sich den verletzten Finger am Patronengurt stieß. Erst als die Waffe weggesteckt war, entspannte Cuthbert die Schleuder und ließ die Metallkugel aus der Lasche auf seine Handfläche fallen.
Die Ursache all dessen war im Lauf der Ereignisse in Vergessenheit geraten. Nun stand Sheemie auf und stolperte durch den Raum. Seine Wangen waren feucht von Tränen. Er nahm eine von Cuthberts Händen, küsste sie mehrmals (laute Schmatzer, die unter anderen Umständen komisch gewirkt hätten) und drückte die Hand einen Augenblick lang an seine Wange. Dann stapfte er an Reynolds vorbei, stieß die rechte Flügeltür auf und fiel geradewegs in die Arme eines verschlafenen und noch halb betrunkenen Sheriffs. Sheb hatte Avery aus dem Gefängnisgebäude geholt, wo der Sheriff den Rausch von der Abendgesellschaft des Bürgermeisters in einer seiner Zellen ausgeschlafen hatte.
8
»Ein schönes Durcheinander, was?«
Avery hatte das gesagt. Niemand antwortete. Er hatte nicht damit gerechnet – nicht, wenn sie wussten, was gut für sie war.
Das Büroabteil des Gefängnisses war zu klein, um bequem Platz für drei Männer, drei stämmige Halbwüchsige und einen übergewichtigen Sheriff zu bieten, daher hatte Avery sie in die nahe gelegene Stadthalle getrieben, wo leise der Flügelschlag von Tauben im Dachgestühl raschelte und das unablässige Ticktack der Standuhr an der Hinterseite der Bühne ertönte.
Es war ein nüchterner Raum, aber dennoch eine begnadete Wahl. Hierher waren Stadtleute und Grundbesitzer der Baronie seit Jahrhunderten gekommen, um ihre Entscheidungen zu treffen, ihre Gesetze zu verabschieden und gelegentlich, um einen Störenfried besonderer Art nach Westen zu schicken. Eine Aura von Ernsthaftigkeit herrschte im mondglitzernden Halbdunkel, und Roland glaubte, dass selbst der alte Mann, Jonas, etwas davon spürte. Auf jeden Fall
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